Verstoßen: Thriller (German Edition)
der Mutter weg. Der Kleine kreischte.
Wie in Zeitlupe sah er Miguel wegrennen, die Auffahrt hinunter, das Kind fest unter den Arm geklemmt, durch das Tor, das hinter ihm langsam zuging.
Thierry folgte ihm nicht.
Sie war so nahe.
Ihre Angst.
Während seine Erektion gegen den Jeansstoff drängte, spürte er nur noch das Blut durch seinen Körper rauschen. Noch fester umklammerte er ihren Hals, vergrub sein Gesicht in ihren roten Locken und fuhr ihr mit der Zunge über das Ohr. Es war feucht von Schweiß, Angstschweiß. Tief sog er ihren Duft ein. Merkte kaum, dass er vor Erregung zitterte.
Das elektrische Summen des sich schließenden Tors riss ihn aus seiner Trance.
Mist! Bloß weg hier .
Langsam erschlaffte sein Griff. Die Frau sackte in sich zusammen.
Thierry sprintete auf das Tor zu und konnte gerade noch hindurchschlüpfen, bevor es quietschend ins Schloss fiel.
Etwa vierzig Meter weiter stand ein dunkelblauer Golf mit laufendem Motor am Straßenrand. Miguel saß auf der Rückbank, Olivier hinter dem Lenkrad. Letzterer lehnte sich über den Beifahrersitz, um die Autotür für ihn aufzuhalten.
Thierry ließ sich in den Sitz fallen. Er hatte die Tür noch nicht zugezogen, als Olivier schon aufs Gas trat. Als hinge sein Leben davon ab.
Thierry warf einen Blick auf die Rückbank, wo der kleine Junge lag, mit einer Papiertüte über dem Kopf. Seinen ruhigen Atemzügen nach zu schließen befand er sich bereits im Tiefschlaf.
Wie lange hatte er eigentlich dort gestanden?
Er zog sich die Biwakmütze vom Kopf und sah Miguel an. »Die Alte ist in Ohnmacht gefallen, glaube ich. Was jetzt?«
»Ich hab ihn schon angerufen«, sagte Miguel ruhig, wobei er Thierry genau ins Gesicht sah. »Er wird gleich kommen.«
Dieser Blick machte Thierry ganz nervös.
»Und übrigens, Thierry«, fuhr Miguel fort, wobei sein Tonfall so bedrohlich klang, dass Thierrys Nervosität sich noch steigerte, »schlag dir das aus dem Kopf.«
Er errötete und senkte den Blick. Bestimmt hatte er länger dort gestanden, als er sich erinnern konnte.
Verfluchtes Flittchen.
Allmählich wurde das tatsächlich zu einem Problem.
»Was meinst du?«, fragte er so beiläufig wie möglich.
»Du spurst nicht, Thierry. Du bist ein gottverdammter Idiot – ein güevón «, sagte Miguel ruhig. »Das meine ich.«
8
»Für Niederländisch wählen Sie bitte die Eins.«
Susan hielt das kleine Nokia-Handy fest umklammert. »Verdammt noch mal, Sil!«
Wie in Trance versuchte sie es erneut.
»Für Nieder… « , sie ließ das Ding auf den Glastisch fallen und trat ans Fenster. Auf dem kleinen Hotelparkplatz drei Stockwerke tiefer hatten die Autos allesamt französische Kennzeichen.
Kein dunkelblauer Land Cruiser.
Sil war heute früh losgezogen, um seine tägliche Zwölf-Kilometer-Runde zu laufen. Ob in Frankreich, in London oder in Den Bosch – sein Lauftraining war ihm heilig, davon ließ er sich durch nichts und niemanden abhalten.
Aber normalerweise war er vor elf zurück.
Und normalerweise ließ er sein Auto stehen.
Sie schaute auf die Uhr. Eins. Kein Grund zur Panik, sagte eine innere Stimme, die allerdings die Worst-Case-Szenarien, die ihr Unbewusstes am laufenden Band abspulte, nur mit größter Mühe zu übertönen vermochte. Vielleicht hatte er sich eine neue Strecke gesucht. War auf die Idee gekommen, zur Abwechslung anderswo laufen zu gehen, und mit dem Wagen hingefahren.
Möglich war es.
Aber es konnte auch etwas ganz anderes dahinterstecken.
Sie wandte sich vom Fenster ab, öffnete die Minibar und holte eine Dose Cola heraus. Beim Aufziehen des Verschlusses zitterten ihre Finger.
In der letzten Zeit war Sil oft mit den Gedanken woanders. Zunehmend fiel ihr eine Unruhe auf, die er hinter seiner Gelassenheit verbarg. Sie kannte ihn gut genug, um das zu durchschauen und zu begreifen, was in ihm vorging. Dieses Feuer, das so bedrohlich in seinen Augen loderte, ließ sich nur schwer löschen, nur wenige Maßnahmen konnten den in seinem Inneren wütenden Brand eindämmen. Reisen war davon mit Abstand die unbedenklichste: Für Sil bedeuteten Reisen noch Entspannung. Er glich einem rastlosen Streuner; das Unterwegs-Sein war sein Ziel, und er wollte noch so vieles sehen und entdecken. Nur um seinetwillen hatte sie überhaupt eingewilligt zu verreisen. Sie selbst wäre genauso gern zu Hause geblieben.
Um sich nicht verrückt zu machen, zog sie ein paar leere Reisetaschen unter dem Bett hervor. Öffnete den Kleiderschrank und fing
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