Verstoßen: Thriller (German Edition)
darf nicht passieren!«
»Papa, ganz ruhig. Du machst dir zu viele Gedanken. Sieh erst mal zu, dass du wieder gesund wirst, und dann schauen wir zusammen, wie wir es verhindern können, ja? Das Wichtigste ist, dass es dir bald wieder besser geht.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich sterbe.«
»Ach wo. Unkraut vergeht nicht.«
Er bekam einen Hustenanfall. »Doch. Diesmal schon. Das spüre ich.«
Sie schaute nochmals auf den Monitor, dann wieder auf ihn. Wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. »Jetzt hör aber mal auf«, rutschte es ihr heraus. »Dramatisier doch nicht so.«
Verärgert schüttelte er den Kopf, und kurz meinte sie wieder jenen Mann zu sehen, vor dem sie etliche Jahre zuvor geflohen war. Er war angespannt und wütend, wusste aber, dass er in seiner Lage wenig ausrichten konnte. Dass ihm wahrscheinlich die Kraft fehlte.
Kurz schloss er die Augen, schien sich auf seine Atemzüge zu konzentrieren. Ein paarmal atmete er nachdrücklich und tief ein und aus. Öffnete dann die Augen wieder und suchte Susans Blick. »Es tut mir so leid.«
»Was?«
»Alles, meine Kleine«, sagte er. »Alles, wirklich.«
Zögerlich legte sie ihre Hand auf seine, wobei sie achtgab, dass sie nicht an die Infusionsnadel kam, und drückte sie leicht. Seine Haut fühlte sich ebenso hart und rau an wie die Steine, mit denen er arbeitete.
»Es spielt keine Rolle mehr, Papa. Es ist vorbei.«
»Nein, es ist nicht vorbei.« Wieder schloss er die Augen und murmelte etwas, was sie nicht verstand.
Eine halbe Stunde blieb sie noch bei ihm. Seine Atemzüge wurden immer tiefer und ruhiger. Die Linien auf dem Monitor liefen auf normale Werte zurück.
Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, ließ sie seine Hand los und stand auf. Stellte den Hocker lautlos wieder unter das Bett. Drehte sich um und verließ den Raum.
9
Es klingelte an der Tür. Bis Maier den schneidenden Signalton aus der Kakophonie von elektrischen Gitarren, knallharten Schlagzeugklängen und Geschrei herausgehört hatte, dauerte es allerdings eine gewisse Zeit. Er tippte auf der Fernbedienung der Musikanlage auf leise. Es folgte ohrenbetäubende Stille.
An der Tür schaute er gewohnheitsgemäß zunächst durch den Spion. Sven. Er öffnete.
»Bierchen?« Ohne die Antwort abzuwarten, ging Maier in die Küche. Erst als er mit zwei Bügelflaschen Grolsch ins Wohnzimmer zurückkam, fiel ihm auf, dass sein Nachbar immer noch auf der Schwelle stand. Er sah leichenblass aus und zitterte sichtbar.
»Sven?«
Sven reagierte nicht, starrte einfach vor sich hin. Er hatte Ringe unter den Augen, und seine Haut war bleich und fleckig. Entweder hatte er die Nacht durchgemacht oder geheult. Oder beides.
Er kannte den Tierarzt noch nicht lange, aber doch gut genug, um zu wissen, dass er zu den wenigen Menschen gehörte, deren positiver Grundeinstellung nichts und niemand etwas anhaben konnte. Seine Scheidung von Valerie, der unfreiwillige Umzug, die Phase, in der er seinen kleinen Sohn nicht zu Gesicht bekommen hatte – während die meisten Menschen unter solchen Umständen schon längst eine schwere Depression bekommen hätten, hatte Sven nichts als Optimismus ausgestrahlt. Er hatte sich einfach nicht entmutigen lassen.
Irgendetwas musste jetzt verdammt im Argen liegen.
»Was ist los, Mann?«, fragte er.
»Ich kann mit niemandem darüber sprechen.«
»Worüber?«
Wie ein Zombie schlurfte Sven zum Esstisch.
Maier stellte ihm das Bier vor die Nase und setzte sich ihm gegenüber. »Schieß los.«
»Sie haben Thomas.« Sven schlug die Hände vors Gesicht.
Sofort richtete sich Maier gerade auf. »Thomas … ? Wer?«
Sven zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wenn ich es nur wüsste, verdammt.« Er unterbrach sich, schluckte und sah Maier an. »Am helllichten Tag, ich schwör’s dir!«
Maiers Augen verengten sich. Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was Sven da gerade erzählte. Seine Züge erstarrten. »Wann?«
»Gestern«, sagte er leise. »Valerie kam mit ihm nach Hause, sie hatte ihn gerade von der Krippe abgeholt. Als sie aus dem Auto gestiegen war, kamen zwei maskierte Typen mit Knarren auf sie zu. Der eine hielt sie fest, und der andere riss ihr Thomas aus dem Arm und rannte mit ihm weg.«
Fast wäre Maier die Kinnlade heruntergeklappt. Alle möglichen Gedanken überstürzten sich in seinem Kopf. Wer, warum? »Verlangen sie Lösegeld?«
»Nein, nein. Es hat wahrscheinlich … mit einer Angelegenheit zu
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