Verstoßen: Thriller (German Edition)
Mörder seines Vaters zusammen begangen hat. Ist dir aufgefallen, wie sehr der Kleine seinem Vater ähnelt? Jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaut, wird er ihn vor sich sehen und sich fragen, warum er keinen Vater haben durfte. Und wissen, dass ein Mann, der für Recht und Ordnung hätte einstehen müssen, der aller Leute Vertrauen genoss, ihm seinen Vater genommen hat. Für Geld. Für Geld, Elias.«
Wie in einem Traum sah Walter die Waffe im sanften Licht der Schreibtischlampe glänzen. Sah die Hand an ihrem Lauf. Die andere lag noch immer schwer auf seiner Schulter.
Langsam näherte sich seine eigene Hand der Waffe. Umfasste den Griff. Er betrachtete den amerikanischen Revolver, als sähe er ihn zum ersten Mal. Die Waffe hatte Carl Ecke gehört. Die Patronen, die jetzt in dem Zylinder steckten, waren einst für Geran Staal bestimmt gewesen.
Das lag gut zwanzig Jahre zurück.
Es kam ihm vor wie gestern.
Murphys Gesetz. Schon vor zwanzig Jahren war es in Kraft getreten. Zitternd näherte sich sein Zeigefinger dem Abzug. Langsam und unsicher hob er den Arm, näherte den Lauf seiner Schläfe. Die Waffe war schwer. Kalt war der Stahl an seiner Haut.
»Du brauchst das nicht zu tun«, hörte er die Stimme. Die Worte klangen, als würden sie ihm durch ein kilometerlanges Rohr ins Ohr geflüstert. So weit entfernt. In seinem Kopf rauschte das Blut. Seine Arme und Beine schienen sich von
seinem Körper zu lösen. Er spürte das kalte Metall an der Haut seines Fingers. Den er um den Abzug spannte.
Ein kurzer Gegendruck.
Den Schuss hörte er nicht mehr.
Durch den Rückschlag wurde Walters Körper an seinen Schreibtisch geschleudert. Sein Arm fiel zur Seite, und die Waffe landete mit einem lauten Knall auf dem Boden. Langsam sackte er in sich zusammen. Sein Gesicht und die eine Schulter sanken auf die Schreibtischplatte. Feine Blutspritzer verteilten sich über seinen Anzug, landeten auf seinen Haaren, tropften wie Regen auf den Perserteppich, fielen auf den Schreibtisch, wurden von dem grünen Löschblatt auf der ledernen Schreibunterlage aufgesogen.
Das Einschussloch der .357-Magnum befand sich in seiner Wange, die bis unter das Auge aufgerissen war.
Maier trat einen Schritt zurück. Der scharfe Pulverdampf war beißend in den Augen. Er betrachtete seine Hände. Blutspritzer auf den dünnen Operationshandschuhen, auf dem schwarzen T-Shirt kleine Feuchtigkeitsflecken.
Er musste hier weg.
Aber er blieb noch ein paar Augenblicke stehen.
Um zu sich zu kommen. Um zu begreifen, dass das, was seine Sinne registriert hatten, auch tatsächlich stattgefunden hatte.
Walter Elias war tot. Er hatte seinem Leben ein Ende bereitet. Er warf einen letzten Blick auf den Toten.
»Viele Grüße an Sven«, sagte er leise zu den halb geschlossenen Augen.
Dann drehte er sich um. Ging über den Teppich zum Flur und hinaus zur Auffahrt. Zog mit dem Ellbogen die Tür hinter sich zu. Stülpte die Innenseite der Chirurgenhandschuhe nach außen, knüllte sie zusammen und steckte sie sich in die
Hosentasche. Ging zur Pforte, kletterte drüber. Schaute nach links. Nach rechts.
Am Straßenrand standen ein paar Autos. Aber kein dunkelblauer Opel Astra.
Der hatte nie dort gestanden.
Zwei Wochen später
»Was für eine Lichtempfindlichkeit benutzt du hierfür?«
»Vierhundert ISO. Genau wie für dieses«, sagte Susan und zog ein weiteres Foto aus dem Stapel. »Für Innenräume werden oft auch achthundert genommen, aber ich finde den Unterschied zu vierhundert gar nicht so groß. Gegen Bewegung hilft es sowieso nicht.«
Maier sah schräg zu Susan und Jeanny auf, während er sich die Schnürsenkel zuknotete. Fotografie war schon den ganzen Morgen das Thema.
Seit Jeanny bei ihnen eingezogen war, drehten die Gespräche sich nur noch um Fotografie, um alte Bekannte und entfernte Verwandte. Zwanzig bis dreißig Jahre alte Erinnerungen wurden wieder lebendig. Es war auch viel geweint worden. Um Sven und Geran. Um Skip, der die Konfrontation mit Roger Wendel nicht überlebt hatte. Und um alle möglichen Dinge, die früher geschehen waren und von denen Susan ihm nie erzählt hatte.
In der Zeit, die Susan und er zusammenwohnten, hatte er sich schon des Öfteren gefragt, warum sie nie über ihre Jugend hatte sprechen wollen. Seit Jeanny wieder aufgetaucht war, wusste er, warum. Erinnerungen kramte man zusammen mit jenen Menschen aus, mit denen man sie teilen konnte, nicht mit anderen, die erst später in das eigene Leben getreten waren. Ein
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