Verstoßen: Thriller (German Edition)
den Kopf. Holte in kurzen Atemzügen Luft, so leise wie möglich. Die Knie gerieten in sein Blickfeld. Er hob den Kopf noch weiter an. Ganz langsam. Über den Rand der grauen Hose hing ein zerknitterter Hemdsaum.
Es war eine plötzliche Bewegung, die seinen Instinkt alarmierte. Blitzschnell rollte er sich auf die Seite. Ein zwanzig Zentimeter langes Messer sauste so knapp an seinem Gesicht vorbei, dass er den Luftzug an der Wange spürte. Er wollte noch ein Stück weiterrollen, wurde aber vom zähen Brombeergestrüpp
aufgehalten. Er hatte sich in den dornigen Zweigen verhakt, steckte fest. Blitzschnell reagierte er.
Ungedämpft verursachten die Schüsse einen enormen Lärm, sie mussten bis auf den Marktplatz in St. Maure zu hören sein.
Der Mann sackte in sich zusammen. Kippte dramatisch zur Seite weg und blieb im Brombeerstrauch hängen. Regungslos. In der Mitte seines weißen Hemds breitete sich schnell ein roter Fleck aus.
Maier befreite sich aus dem Gestrüpp und stürmte auf die Tür zu. Im Flur war es dunkel und kühl. Ein enormer Kontrast zum Hof, wo die Sonne auf dem Kies glitzerte. Flecken tanzten ihm vor den Augen. Er ging in die Hocke, die Glock beidhändig vorgestreckt. Lauschte. Reglos wie eine Skulptur verharrte er, an den Türpfosten gelehnt, und wartete darauf, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten.
Für den Bruchteil einer Sekunde, der eine Ewigkeit zu dauern schien, sah er plötzlich ein Bild von Thomas vor sich, auf dem Schoß seines Bewachers, der ihm mit der einen Hand den Mund zu und mit der anderen ein Messer an den Hals hielt. Maiers Gegenspieler, der nun auf seine Schritte lauschte. Auf seine Atemzüge.
Eine kalte Hand griff nach seinem Herz.
Wo?
Sein durch die Konzentration geschärftes Gehör fing keinen Laut auf, der irgendwie bedeutsam schien. Die Flecken vor seinen Augen lösten sich auf. Ihm gegenüber eine Treppe nach oben. Links davon eine offene Tür. Scharf rechts eine geschlossene. Weiter zur Mitte hin, neben der Treppe, führte ein schmaler Flur in die Tiefe und endete wiederum bei einer Tür. Er sprang auf. Das Herz raste ihm wie wild im Brustkorb.
Er machte einen Schritt auf die linke Tür zu und spähte durch die Öffnung. Es handelte sich um eine Wohnküche, im hinteren Teil des Raums eine Küchenzeile, moosgrün mit Holzgriffen.
Darüber befand sich ein kleines Fenster. Er ging in die Hocke und stieß die Tür ein Stück weiter auf. Die Glock fest im Griff, drehte er sich seitlich, um weniger Angriffsfläche zu bieten.
Bis auf einen Tisch aus Eichenholz mit zwei überfüllten Aschenbechern, ein monströses Pferdegemälde aus den siebziger Jahren und an der gegenüberliegenden Wand einen enormen Kamin, fast so breit wie das Zimmer lang, war der Raum leer.
Mit der Glock im Anschlag drehte Maier sich um, stürzte zwei Meter durch den Flur auf die gegenüberliegende Tür zu und drückte die Klinke hinunter. Versetzte ihr einen Stoß und duckte sich. Es war ihm schon fast zur Gewohnheit geworden, sich in derartigen Situationen immer möglichst nahe am Boden zu halten. Falls hinter der Tür jemand mit einer wie auch immer gearteten Waffe im Anschlag stand, ging dieser davon aus, dass der Eindringling aufrecht und nicht kriechend oder robbend in den Raum kam. Die Verwirrung, die er mit diesem Schachzug stiftete, konnte von Vorteil sein.
Knarrend ging die Tür auf. Durch ein Fenster fiel Licht von draußen auf die Terrakottafliesen. In der Ecke stand ein niedriger Fernsehschrank, aus demselben rustikalen Eichenholz wie der Esstisch in dem anderen Raum, mit einer ungleichmäßig gehäkelten, vergilbten kleinen Decke.
Er schluckte und lauschte. Nichts.
Rasend schnell robbte er bäuchlings vorwärts. Eine grüne Sitzgruppe, die ihre beste Zeit vor etwa dreißig Jahren gehabt hatte. Auf den Rücken- und Armlehnen weitere selbst gehäkelte kleine Decken.
Großmutters Fernsehzimmer.
Wo zum Teufel ist Thomas?
Er sprang auf und rannte durch den engen Flur an der Treppe vorbei nach hinten durch. Drückte die Klinke hinunter, zog die Tür auf. Eine Toilette. Leer. Zunehmend beunruhigt, stürmte
er die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten und knackten unter seinen Schritten, aber um den Lärm, den er verursachte, kümmerte er sich keine Sekunde. Falls irgendjemand da war, war er von den Schüssen längst alarmiert.
Er stieß einen leisen Fluch aus. Es hätte noch andere Möglichkeiten gegeben als diese Schüsse. Dass er schließlich auch ein Messer dabeigehabt
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