Verstoßen: Thriller (German Edition)
hierhergebracht hatte. Der Fahrer des Renault 21. Er trug noch dieselbe, für seine kurzen Beine zu lange graue Hose und ein weißes Hemd. Körperhygiene gehörte offenbar nicht zu seinen obersten Prioritäten, oder er hatte kofferweise dasselbe Outfit dabei. Drei zum Preis von zwei, aus dem Monoprix.
Der Mann war nun auf den Hof hinausgegangen und blinzelte ins grelle Sonnenlicht. Gähnte. Kratzte sich ungeniert im Schritt und kam dann mit langsamen Schritten auf ihn zu.
Ohne den Blick abzuwenden, glitt Maiers Hand langsam zur Glock hinunter, die in dem Holster unter seiner Jacke steckte. Die Dornen zerschrammten ihm die Hände. Er bewegte sich ausgesprochen langsam. War wachsam.
Der Mann blieb mitten auf dem Hof stehen, auf seinem Kahlkopf glänzte die Sonne. Gelangweilt schaute er sich um und griff dann in seine Tasche. Im selben Augenblick zog Maier die Glock und streckte sie mit beiden Händen vor sich. Gespannt wartete er, was passieren würde.
Der Mann zog ein Handy heraus.
Er wählte eine Nummer und hielt sich das Ding ans Ohr. Anscheinend nahm schnell jemand ab, denn quasi im selben Augenblick begann er, in schwungvollem, schnellem Französisch draufloszureden, lange Sätze ohne Punkt und Komma, so kam es Maier vor. Der Mann nickte, schüttelte den Kopf, gestikulierte. Regte sich offenbar über irgendwas auf.
Hatten sie Thierrys Verschwinden bemerkt? Ging es darum,
dass Thomas woandershin gebracht werden sollte? Bekam der Kerl gerade den Auftrag, die Sache zu Ende zu bringen?
… oder hatte er das bereits getan?
Der Mann steckte sein Handy wieder ein. Schien ins Haus gehen zu wollen, zögerte aber. Dann drehte er sich um und kam direkt auf das dornige Versteck zu, in dem Maier sich verborgen hielt. Er spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Keinen Meter von ihm entfernt blieb er stehen, am Rand des Hofes, und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. Maier stockte der Atem. Er hatte einen Kloß im Hals, wagte aber nicht zu schlucken.
Ein gelber Strahl prasselte neben ihm nieder und lief in winzig kleinen Rinnsalen über den ausgetrockneten Lehmboden. Von seiner Liegeposition aus konnte er lediglich die Füße des Manns sehen, die in ein paar altmodischen, schwarzen Herrenslippern mit Goldschnalle steckten, sowie die schlecht sitzende Hose beziehungsweise den umgeschlagenen Saum der Hosenbeine.
Maier rührte sich nicht. Hielt ganz still. Wurde gleichsam eins mit dem Boden, auf dem er lag. Seine schwarze Biwakmütze, der Pullover, die Handschuhe und die Tarnhose bedeuteten hier im Schatten glücklicherweise einen Vorteil. Außerdem würden sich die Augen des anderen, nachdem er gerade noch mitten auf dem Hof im blendenden Sonnenlicht gestanden hatte, erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen. Hoffentlich war seine Blase vorher geleert. Maier war zwar gut getarnt, aber der Kerl stand so nahe, dass die kleinste Bewegung ihn verraten würde.
Er versuchte, nach oben zu schauen, ohne dabei den Kopf zu bewegen. Verdrehte die Augen, so weit er konnte, aber trotz aller Anstrengung ließ sich nicht viel erkennen. Lediglich die Augenmuskeln taten ihm weh, und er bekam stechende Kopfschmerzen.
Der Mann stand grauenerregend dicht vor ihm. Würde er den Arm nur ein kleines Stückchen weiter ausstrecken, könnte er ihn berühren. Blieb nur zu hoffen, dass der Kerl den Blick in die Ferne gerichtet hielt.
Es waren die längsten Sekunden seines Lebens. Sämtliche Fasern in seinem Körper waren bis zum Zerreißen gespannt. Das Adrenalin schoss ihm durch die Adern. Glatt und schwer lag die Glock in seiner Hand. Er krümmte den Zeigefinger äußerst langsam um den Abzug. Er konnte zwar nicht schießen, bevor er wusste, ob der andere allein war, aber das vertraute, kühle Metall in der Hand zu spüren, vermittelte ihm das beruhigende Gefühl, die Situation besser im Griff zu haben.
Quälend langsam verstrichen die Sekunden. Die Welt war plötzlich extrem klein. Direkt vor seinen Augen suchten rote Waldameisen, die sich wie überschwemmt vorkommen mussten, einen sicheren Unterschlupf. Kreuz und quer krabbelten sie auf dem harten Lehmboden übereinander her. Liefen über seine Hand und den Lauf der Glock, die auf dem Boden auflag.
Urin tröpfelte nach. Dann wurde der Reißverschluss wieder zugezogen. Der Mann blieb vor dem Gestrüpp stehen.
Maier spürte, wie seine Nackenhaare sich aufrichteten.
Es blieb still.
Das fühlte sich gar nicht gut an. Da lief irgendwas ganz schief.
Langsam, extrem langsam hob er
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