Verstoßen: Thriller (German Edition)
Links davon zwei verwitterte weiße Sprossenfenster, rechts nur eines. Alle drei etwa gleich groß, einen guten Meter hoch und etwa siebzig Zentimeter breit. Er vermutete, dass sich die Küche an der linken Seite befand und das Wohnzimmer rechts. Die Dachgaube rechts über der Eingangstür ließ darauf schließen, dass sich über dem Erdgeschoss ein weiteres Stockwerk befand, aber sonderlich viele Zimmer konnte es insgesamt trotzdem nicht
geben. In der Breite maß das Gebäude kaum fünf Meter, sodass ihm eine ellenlange Suche nach Thomas erspart bliebe.
Vorausgesetzt, Thomas befand sich tatsächlich in diesem Haus.
In den zwanzig Minuten, die er hier schon lag und für ganze Schwärme um seinen Kopf schwirrender Mücken ein gefundenes Fressen darstellte, hatte er eine Art von Plan geschmiedet. Es würde ihm wahrscheinlich nicht erspart bleiben, das Haus zu betreten.
Aber er würde nicht alleine gehen.
Ein zusätzliches Augenpaar, zusätzliche Feuerkraft waren hochwillkommen. Denn wie er es auch drehen und wenden mochte, er sah keine Möglichkeit, ungesehen oder gar geräuschlos hineinzugelangen. Rund um das Haus lag scharfkantiger Kies, der bei jedem Schritt knirschte. Der Weg übers Scheunendach würde genauso viel Lärm machen – die Schieferplatten waren dort oben mit dünnen, kleinen Nägeln befestigt, und besonders viel Vertrauen in die nachlässig und chaotisch wirkende Dachkonstruktion dieser Scheune hatte er nicht. Sich heimlich hineinzuschleichen, fiel also aus.
Sie mussten auf den Überraschungseffekt setzen.
Wenn Sven seine Pistole hier genauso schnell ziehen konnte wie gestern in Paris – und vor allem bereit wäre, sie auch einzusetzen – , dann sollte er das ruhig tun. Ein Problem stellte allerdings seine Nervosität dar. Nichts war gefährlicher als ein untrainierter und äußerst angespannter Typ mit dem Finger am Abzug, zumal in einer Umgebung, wo jederzeit wehrlose Unbeteiligte auftauchen konnten. Selbst geschulte Polizisten neigten in solchen Extremsituationen bisweilen dazu, reflexartig auf alles zu schießen, was sich bewegte. Es war nicht einmal ein rein theoretischer Gedanke, dass Sven am Ende seinen eigenen Sohn abknallte, weil seine Nerven bis zum Zerreißen angespannt waren.
Er würde die Sache gleich noch mit Sven besprechen. Ihm einschärfen, dass es darauf ankam, erst nachzudenken, bevor man handelte. Vielleicht konnte er ihn dazu bringen, den Finger auf den Abzugsbügel zu legen, statt direkt an den Abzug selbst, wenn sie in das Haus einfielen. Um seine Reaktionsgeschwindigkeit ein bisschen zu drosseln.
Maier behielt das Haus, das teils im Schatten eines großen Walnussbaums auf der linken Seite verborgen lag, unablässig im Blick. Der Renault hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Nicht der kleinste Laut war nach draußen gedrungen. Kein Radio, keine Stimmen. An den Fenstern keinerlei Bewegung. Nichts.
Allmählich fragte er sich schon, ob da drinnen überhaupt jemand war. Ob die Vögel nicht längst ausgeflogen waren. Ob die Typen einfach das Auto hier hatten stehen lassen. Aber das würde man noch früh genug herausfinden.
Es wurde Zeit, zurückzugehen und Sven ins Schlepptau zu nehmen.
Auf Ellbogen und Zehen gestützt, arbeitete er sich rückwärts aus dem Brombeerstrauch heraus. Die langen Zweige mit ihren scharfen Dornen waren nicht schlimm gewesen, solange er reglos dagelegen hatte, aber nun, wo er wegwollte, schienen sie plötzlich sehr an ihm zu hängen. Die Dornen verhakten sich in seiner Kleidung. Zerschrammten ihm Gesicht und Hände. Kaum hatte er einzelne entfernt, hatten sich schon wieder zwanzig neue festgesetzt. Am einfachsten wäre es, sich ruckartig loszureißen, aber das würde zu viel Bewegung im Gestrüpp verursachen. Ein wackelnder Brombeerstrauch fiele jedem, der zufällig gerade durchs Fenster auf den Hof schaute, sofort auf.
Den Strauch still verfluchend, arbeitete er sich beharrlich nach hinten heraus. Versuchte, die tiefen Schrammen, die die Dornen ihm zufügten, wo sein Körper unbedeckt war, möglichst nicht zu spüren.
Die Haustür ging auf.
Reflexartig drückte er sich flach auf den Boden. Blieb totenstill liegen und hielt die Luft an.
Ein Mann erschien im Türrahmen. Dunkles, zurückgekämmtes, dünnes Haar, leichter Bauchansatz, höchstens eins fünfundsechzig groß, vielleicht sogar ein wenig kleiner. Er schien um die vierzig zu sein, womöglich war er aber auch zehn Jahre älter. Sicher war nur eins: Dies war der Mann, der Thomas von Paris
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