Verstoßen: Thriller (German Edition)
auch. Er ist Strafrichter. Das sind doch alles Kreuzritter der Moral, du weißt schon. Theoretiker. Die bringen es fertig und schicken uns zum Dank dafür, dass wir ein Kind gerettet haben, fünfzehn Jahre in Frankreich hinter Gitter. Nur weil das so in ihren Gesetzbüchern steht.«
»Und wie willst du Walter dann Thomas’ wundersame Heimkehr erklären? Willst du behaupten, eine gute Fee hätte ihn dir zurückgebracht?«
»Weiß ich noch nicht. Da fällt mir schon noch was ein.«
»Hör doch auf mit dem Geschwätz, Nielsen!«
Inzwischen war er sich sicher. Von Anfang an hatte er das undeutliche Gefühl gehabt, dass irgendetwas nicht stimmte. Dass Sven mehr wusste, als er zugab. Seine ganze Haltung deutete darauf hin, seine Nervosität und seine widersprüchlichen Reaktionen. Am Anfang hatte Maier sich noch eingeredet, dass Nervosität in solchen Situation schließlich normal war. Aber der Verdacht war nur stärker geworden.
Außerdem hatte er mit Drogenbanden so seine Erfahrungen. Die waren straff organisiert. Diesmal war er wohl eher an einen schnell zusammengetrommelten Haufen Kleinkrimineller geraten. Keine Sicherheitsmaßnahmen, schlechte Bewaffnung, keine Hunde. Im Grunde war er einfach so in das Haus hineinspaziert. Der Kontrast zu den paramilitärischen Strukturen knallharter Drogenkartelle hätte kaum größer sein können.
Sven oder Elias – einer von den beiden nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Und wenn seine Intuition ihn nicht täuschte, dann eher Sven als Walter Elias. Denn in einem Punkt hatte der Tierarzt nicht unrecht: Strafrichter waren Theoretiker. Nicht zufällig hatten sie jahrelang Paragraphen studiert und eingepaukt.
Der Buchstabe des Gesetzes war solchen Leuten quasi heilig. Um in dem vorgegebenen Rahmen funktionieren zu können, musste man bestimmte Denkstrukturen verinnerlicht haben. Von denen wich man nicht ohne Weiteres ab. Ob es nun vernünftig war oder nicht – der archetypische Strafrichter würde sich nie im Leben von einem Haufen Krimineller knebeln lassen. Das kam solchen Leuten einfach nicht in den Sinn.
Wenn Walter von dieser Sache irgendetwas gewusst hätte, hätte er sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, die ihm zur Verfügung standen: die Hebel des Gesetzes. Strafrichter hatten täglich mit Staatsanwälten und Polizeipräsidenten zu tun. Bestimmt hatte auch Elias solche Leute in seinem Freundeskreis. Und garantiert hätte er die noch am Tag der Entführung selbst zusammengetrommelt. Blitzschnell.
Sodass Sven und er hier gar nicht erst aufgekreuzt wären.
Diese ganze Geschichte stimmte hinten und vorne nicht. Nachdem sie nun ein bisschen Druck vom Kessel genommen hatten und er wieder halbwegs klar denken konnte, kam ihm die glückliche Aneinanderreihung von Zufällen immer unwahrscheinlicher vor. Erst diese Adresse in Paris, die Sven auf Anhieb herausbekommen hatte, dann das 37ste Departement, wo er früher gearbeitet hatte und sich gut auskannte … von Minute zu Minute wurde Maier klarer, dass mehr dahinterstecken musste. Dass Sven mit grundlegenden Informationen hinter dem Berg hielt.
»Erzählst du mir gelegentlich noch, was hier eigentlich los ist, oder erwartest du, dass ich den Quatsch, den du mir aufgetischt hast, tatsächlich glaube?«
Durch den Rückspiegel sah er Sven direkt in die Augen. Erschrocken schaute dieser zurück, wandte dann aber schnell den Blick ab und sah nach draußen.
Minutenlang blieb es still im Wageninnern. Sie überholten einen Sattelzug, der Laguna raste mit hundertvierzig Stundenkilometern
über den Asphalt, und die Landschaft flitzte nur so an ihnen vorbei.
»Du hast mich in diese Sache reingezogen. Ich will wissen, worauf ich mich gefasst machen kann.«
Schweigen.
Vor unterdrückter Wut fuhr Maier, ohne es zu merken, immer schneller. In einiger Entfernung tauchte ein aire auf, ein Rastplatz. An der entsprechenden Ausfahrt bog Maier von der Autobahn ab und an geparkten Autos und Wohnwagen vorbei, bis sie zu jenem Bereich gelangten, wo nur noch Lastwagen standen und es ansonsten ziemlich ruhig war. Er hielt an, stellte den Motor ab und drehte sich zu Sven um.
»Also?«
Sven war alles Blut aus den Wangen gewichen. Seine Haut sah blasser aus als sein T-Shirt, und rote Flecken waren auf seinen Hals getreten.
Im selben Augenblick regte sich etwas unter der grauen Pferdedecke. Sven zog sie zur Seite und beugte sich über Thomas. Der sah sich erschrocken um, blinzelte mit den Augen und schloss sie wieder.
»Thomas.« Sven
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