Verstoßen: Thriller (German Edition)
den übereinandergeschlagenen Beinen der dunkelhaarigen Frau neben ihm. Ihr kurzer Rock gab die Sicht auf ihre rasierten Waden frei. Er versuchte gar nicht erst, Blickkontakt zu ihr zu bekommen. Es war sinnlos. Mit seinen von den Mundwinkeln bis zu den Ohren verlaufenden zackigen Narben war er ein Monster, eine wandelnde Zombie-Show. Also fickte er derzeit nur noch Frauen, die entweder zu stoned oder zu betrunken waren, um mitzubekommen, was sie taten. Oder so hässlich, dass sie mit dem erstbesten steifen Schwanz vorliebnahmen. Die Frau neben ihm war allerdings weder stoned noch betrunken. Und hässlich schon gar nicht.
Außerdem hatte er anderes zu tun.
Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm.
Keine Reaktion. Hoffentlich meldete der Chef sich noch im Lauf des Abends.
Er loggte aus und ging nach draußen.
29
Im linken Außenspiegel sah er Sven zurückkommen. Er hatte eine neue Armschlinge und trug in der linken Hand eine volle Plastiktüte. Etwa zehn Meter hinter ihm, an der Straßenecke, stand ein Mann in weißem Kittel, der sich mit erhobener Hand von Sven verabschiedete. Der hatte noch die letzten Meter zum Wagen, bevor er sich auf dem Rücksitz niederließ.
»Musstest du dich jetzt unbedingt von ihm rausbringen lassen ?«, fragte Maier.
»Tut mir leid. Ich hab mir nichts dabei gedacht. Er ist einfach mitgekommen.«
Maier drückte auf den Startknopf rechts neben dem Lenkrad. Der Laguna sprang an, und er steuerte den Wagen vom Rand des Bürgersteigs auf die zu beiden Seiten von Blumenkübeln gesäumte breite Allee. Le Chesnay war durchaus eine schöne Stadt, und die Gemeinde tat offenbar ihr Bestes, damit das so blieb, aber an Maier ging das völlig vorüber.
Thomas kroch seinem Vater auf den Schoß und klammerte sich an ihn.
»Alles in Ordnung?«, fragte Maier.
»Ja. Es steckte keine Kugel drin. Aber das Muskelgewebe ist ziemlich kaputt, und es ist viel Dreck in die Wunde gekommen. Er hat sie ausgespült und genäht.«
»Und hat er irgendwelche Schwierigkeiten gemacht?«
Sven zögerte. »Die Geschichte von dem Jäger hat er geschluckt, aber er fand es sonderbar, dass ich nicht ins Krankenhaus gegangen bin. Ehrlich gesagt, ich bin kaum wieder
rausgekommen. Eigentlich fand Benoît es unverantwortlich, in meinem Zustand in die Niederlande zu fahren. Ich sollte lieber über Nacht bei ihm bleiben, hat er gesagt. Er hatte schon den Telefonhörer in der Hand, um seiner Frau Bescheid zu sagen, dass sie das Bett für mich machen sollte. Ich bräuchte dringend Bettruhe, meinte er. Ich musste ihm hoch und heilig versichern, dass ich über Nacht in Paris bleiben würde, sonst hätte er mich gar nicht gehen lassen.… Können wir nicht vielleicht doch in Jacks Appartement übernachten? Und morgen früh auf brechen ?«
»Du kriegst alle Bettruhe der Welt. In sechs bis sieben Stunden. «
»Aber …«
»Du hast jetzt dein Morphium, einen frischen Wundverband und das Antibiotikum. Ich muss schnell die Sache mit der Bodenfliese regeln, dann bringen wir den Wagen zurück, und danach kannst du die ganze Rückfahrt über schlafen. Wenn du die Augen wieder aufmachst, sind wir schon in den Niederlanden.«
Sie hatten den Autobahnring rund um Paris noch nicht erreicht, da standen sie schon im Stau. Der Laguna war zwischen Lastwagen, Pkw und Reisebussen eingequetscht. Motorräder schlängelten sich im Schritttempo zwischen den Wagen hindurch. Den Staumeldungen aus dem Radio zufolge war dies erst der Anfang.
Frustriert schlug Maier mit den Fäusten aufs Lenkrad. » Fuck!«
»Sil?« Sven meldete sich von der Rückbank aus zu Wort. »Mir ist nicht gut.«
Maier schaute kurz über die Schulter zurück. Sven war kreidebleich und völlig verschwitzt. Er sah aus, als könnte er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
»Ich muss schlafen. Ich brauche ein Bett. Bitte, von diesem dauernden Stop and Go wird mir ganz übel.«
Mit einem raschen Blick auf die Uhr stellte Maier fest, dass es halb zehn Uhr abends war. In Jacks Safe House erwartete ihn noch ein ziemliches Stück Arbeit. Der Austausch der Fliese musste an sich kaum länger als eine halbe Stunde dauern, vorausgesetzt, eine von denen, die er beim Mr. Bricolage gekauft hatte, passte in Größe und Farbe. Aber dann mussten sie auch noch den Laguna bei Hertz abgeben, und wenn nicht er selbst ins Visier der Überwachungskameras auf dem Flughafen geraten wollte, musste Sven das erledigen. Der aber sah leichenblass aus, war todmüde und gestresst. Den
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