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Verstoßen: Thriller (German Edition)

Verstoßen: Thriller (German Edition)

Titel: Verstoßen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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gemaserte rote Leder knarrte. »Was möchtest du wissen?«
    »Mein Vater ist letzte Woche gestorben. Vor seinem Tod hat er noch etwas über meine Mutter gesagt.«
    Walters Pupillen schienen sich zu weiten. Aber vielleicht täuschte das auch.
    »Ich habe so das Gefühl, dass sie nicht mehr am Leben ist«, fuhr sie fort. »Und dass du mir darüber mehr erzählen kannst. Vorher werde ich dieses Haus nicht wieder verlassen.«
    Walter schob den Füllfederhalter auf seiner Schreibunterlage ein Stück von sich weg. Er errichtete eine Barriere, eine symbolische Grenze: bis hierher und nicht weiter.
    Und er mied ihren Blick.
    »Du weißt es«, sagte sie. »Du weißt, was damals geschehen ist.«
    »Manchmal ist es besser, bestimmte Dinge nicht zu wissen«, sagte er knapp.
    »Das zu beurteilen, ist nicht deine Sache«, sagte sie streitlustig. »Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
    Kurz schwiegen sie beide. Außer dem Ticken der Standuhr war in dem Arbeitszimmer kein Laut zu vernehmen.
    Walter sah Susan an. Mahlte mit den Kiefern, als kaute er auf irgendetwas.
    Dann schüttelte er den Kopf. »Es ist so lange her, lass es doch ruhen.«
    Also doch .
    »Nein.«
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu, blieb vor seinem Schreibtisch stehen. Ließ die Hand in ihre Tasche gleiten und schloss die Finger um das Stungun. Zu Hause hatte sie gründlich die Gebrauchsanweisung studiert. 750 000 Volt konnte das Ding erzeugen. Auf dem Weg nach Tilburg hatte sie sich unzählige Male vorgestellt, wie sie die durch Walter Elias’ Körper hindurchjagen würde, wenn der es sich einfallen ließe, ihr irgendein Theater vorzuspielen.
    Mittlerweile war sie sich nicht mehr so sicher.
    Vielleicht lag es an Walters Haltung. Der Mann ihr gegenüber wirkte weder feindselig noch arrogant. Er strahlte eher eine Art von Traurigkeit aus. Resignation.
    Das befremdete sie.
    »Wenn … «, setzte sie an, »… wenn mein Vater sie ermordet haben sollte, könnte ich meinen Frieden damit schließen. Er ist nicht mehr unter uns. Er ist tot. Wenn ich wüsste, dass es tatsächlich so war, könnte ich es wenigstens innerlich einordnen.«
    Walter blickte erstaunt auf. »Meinst du das ernst, Susan? Dein Vater küsste den Boden unter ihren Füßen. Er hätte ihr nie ein Haar gekrümmt, niemals.«
    Ihre Unterlippe zitterte. Der Jähzorn und die dominante Art ihres Vaters hatten ihre gesamte Jugend überschattet. Als Kind hatte sie ihn geliebt, wie alle Kinder ihre Eltern lieben: vorbehaltlos.
Aber die Angst vor seinen Wutausbrüchen und der Schmerz, den er ihr mit seinen hartherzigen Worten und seiner Gefühlskälte zugefügt hatte, hatten diese Liebe nach und nach erstickt. Bis sie schließlich sogar angefangen hatte, einen Mörder in ihm zu sehen. Den Mörder ihrer Mutter.
    Hatte sie ihn so falsch eingeschätzt?
    Sie zitterte am ganzen Leib. Um nicht loszuheulen, musste sie sich so zusammenreißen, dass sie unwillkürlich den Mund verzog.
    »Wer war es?«, flüsterte sie. »Sag es mir. Ich bin keine vierzehn mehr. Ich kann es verkraften. Wer hat meine Mutter ermordet ?«
    Walter holte tief Luft. Lehnte sich in seinem Sessel zurück. Fuhr sich durchs graue Haar und blickte hilfesuchend um sich. Dann sah er ihr plötzlich direkt ins Gesicht.
    »Deine Mutter, Susan«, sagte er, wobei er jedes Wort sorgfältig abwog, »ist nicht tot.«

31
    Der Wind zerrte an Miguels Jacke, während er die Feuertreppe an der Seite der achtstöckigen Wohnkaserne hinaufstieg. Die Stufen ächzten unter seinem Gewicht. In dieser Höhe hatte der Wind freies Spiel. Noch höher, hoch oben am dunklen Himmel, waren heute Nacht keine Sterne zu sehen. Eine dichte, stürmisch vorangetriebene Wolkendecke über der französischen Hauptstadt reflektierte das orangefarbene Leuchten ihrer Millionen Lichter. Plötzlich drehte sich der Wind und fuhr ihm in das schwarze Haar. Jeden Augenblick konnte ein Unwetter losbrechen.
    Er warf einen kurzen Blick nach unten. Aus zwanzig Metern Höhe sah dort alles so klein und unbedeutend aus. Ab und zu fuhren winzige Spielzeugautos auf der breiten Hauptstraße vor dem Gebäude vorbei. Leuchtende Laternen bildeten gelbe gepunktete Linien zwischen den dunklen, rechteckigen Gebäuden. Lärm aus der Stadt fing man hier oben so gut wie gar nicht mehr auf.
    Er stand jetzt ganz oben auf der Feuertreppe, die im Zickzack bis knapp unter das Dach führte. Vorsichtig legte er den länglichen Kunststoffkoffer ab. Er war so lang, dass er ein Stück über den Absatz hinausragte.

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