Verstoßen: Thriller (German Edition)
war an der Waffe vor allem der Durchmesser des Laufs, der größer war als bei der normalen CZ 700. Das lag an dem Schalldämpfer: Dies war eins der wenigen Scharfschützengewehre, bei denen man keinen Gehörschutz benötigte. Vor allem wenn es in Strömen regnete, war es fast unmöglich, die Herkunft eines Schusses eindeutig zu bestimmen. Entsprechend war die tschechische Präzisionswaffe ideal dafür geeignet, in bevölkerungsreichen Gebieten aus großer Entfernung zu schießen.
Ideal für Meuchelmörder.
Er stellte das Zweibein, das den Lauf stützte, auf den Rand des Dachs. Nahm das geladene Magazin aus dem Koffer und ließ es einrasten. Drückte die Verriegelung des Repetierhebels hoch, zog Letzteren dann zurück und schob ihn wieder nach vorn, sodass die erste Patrone aus dem Magazin in den Lauf geschoben wurde. Den Sicherungshebel löste er vorläufig noch nicht.
Er spähte durch das Zielrohr, das wie ein Fernglas funktionierte und ein bemerkenswert helles und scharfes Bild der Umgebung wiedergab.
Langsam ließ er das schwach leuchtende Fadenkreuz über die Fassade des Gebäudekomplexes hinuntergleiten. Auf dem umzäunten Parkplatz der modernen Wohnsiedlung standen nur wenige Wagen.
Einer davon war ein schwarzer Renault Laguna.
32
Er musste schlafen. Jeder Muskel in seinem Körper war übersäuert und lechzte nach Ruhe. Doch aus irgendwelchen Gründen war Maier trotzdem hellwach. Er ließ den Blick auf den beiden Schlafenden ruhen. Sven lag in dem metallenen Doppelbett auf dem Rücken, den verletzten Arm mit der Schlinge auf der Decke, den anderen beschützend um den Kopf seines Sohns gelegt. Sein Gesicht sah jetzt ganz entspannt aus, er wirkte Jahre jünger. Aller Druck war von ihm abgefallen, jegliche Anspannung aus seinen Zügen gewichen. Jetzt, da er seinen Sohn in Sicherheit wusste, war seine Haut ganz glatt und weich geworden.
Thomas drückte sich einen Zipfel der Decke ans Gesicht, das andere mollige Händchen lag reglos in der Hand seines Vaters. Verwuscheltes blondes Haar und eine ruhige, flache Atmung.
Stumm stand Maier am Fußende und betrachtete das Bild, das sich ihm darbot.
Unschuld. Geborgenheit. Liebe.
Kurz spürte er einen Stich von Eifersucht.
Er war auch einmal so ein kleiner Junge gewesen. Aber einen Vater, dem er so viel bedeutet hätte, hatte er nie gehabt. Nur Wegwerfväter, dutzendfach. Keiner von ihnen war lang genug geblieben, um etwas zurückzulassen, was für Maier von Bedeutung gewesen wäre. Nur fantasielose Mitbringsel, Kuscheltiere, schnell noch an der Tankstelle gekauft, zusammen mit dem Blumenstrauß für seine Mutter. Als eine Art Abfindung oder als Eintrittsgeld für die paar Stunden, die sie mit ihr verbrachten
und während derer sie die innere Leere dieser Frau ausfüllten, bis sie wieder verschwanden, um nie zurückzukehren. Und eine noch viel größere Leere zu hinterlassen.
Die Tankstelle an der Straße zu ihrem Viertel hatte nach dem Tod seiner Mutter wahrscheinlich einen beträchtlichen Umsatzrückgang zu verzeichnen gehabt.
Mit einem letzten Blick auf den schlafenden kleinen Jungen ging er ins Bad. Die Neonlampe flackerte langsam auf. Er nahm das Loch in Augenschein, das die .45 in den Fußboden geschlagen hatte. Es war kaum vierundzwanzig Stunden her, aber ihm schien es Wochen zurückzuliegen. Gleichzeitig meinte er, das Schießpulver noch riechen zu können. Und das Blut.
Er drehte sich zum Spiegel um, betrachtete sein Gesicht. Falten um die Augen, dunkle Ringe darunter. Kleine Bartstoppeln. Markante, dunkle Brauen und ein Augenpaar, das ihn dermaßen intensiv anstarrte, dass er kaum anders konnte als gebannt zurückzustarren.
Ins Gesicht eines Mörders.
Bei seiner Konfrontation mit Thierry in St. Maure hatte er kurz einen überwältigenden Adrenalinstoß verspürt. Eine Erregung, einen Rausch. Als Thierry dann wie ein abgeschlachtetes Tier auf dem lehmigen Boden lag: nur noch Übelkeit.
Dann hatte sein Verstand wieder das Kommando übernommen. Und zwar so schnell und effizient, dass er selbst darüber erschrak, wenn er jetzt daran zurückdachte.
Er hatte keine Wahl gehabt, sagte er sich selbst. Früher oder später wäre es sowieso so gekommen.
Eine üble Sache blieb es trotzdem.
Töten war nichts Heroisches. Überhaupt nicht.
Aber es war das, was ihn antrieb. Genau sein Ding. Sein Talent.
Thomas war in Sicherheit. Aber hatte er sich deshalb auf diese ganze Angelegenheit eingelassen? Nein. Es hatte mit Thomas
nichts zu tun. Der war bloß der
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