Verstrickung des Herzens
am Schutzwall, der das Fort an allen vier Seiten umgab, und blickte über das Land hinweg. Dreißig Meilen weiter nördlich lag St. Augustine, doch es hätten tausend sein können, denn sie sah nur endloses, fremdartiges Grün. Im Norden ragten hohe Kiefern auf, im Süden und Südwesten erstreckte sich das Sumpfgebiet, und im Osten reichte der Adlerfarn bis zum Atlantik.
Irgendwo da draußen führten Wege durch die Wildnis, sogar Straßen, von der Army angelegt. Aber wer die Festung verließ, mußte den Eindruck gewinnen, er würde ein unberührtes Paradies betreten, wo es nur grüne Vegetation, braune Erde und den blauen Himmel gab, hin und wieder auch das dunkle Türkis eines fließenden Gewässers.
Fort Deliverance, in dem das Dach leckte und der Wind heulte, in dem jeden Tag Menschen starben, nicht an Kugeln oder Messern oder Pfeilen, sondern an schrecklichen Krankheiten ...
Bisher hatte Teela einen klaren Kopf behalten, was sie Joshua Brandeis und anderen Freunden verdankte. Sie war noch kein einziges Mal ausgeritten. Die Zeit konnte sie sich vertreiben, indem sie dem Doktor im Lazarett zur Hand ging. Sie litt mit den Patienten, fand Trost im Bewußtsein, ihre Qualen zu lindern, las ihnen Geschichten vor und ließ sich Briefe diktieren, die sie nach Hause schickten. Deshalb wußte sie, wie sehr sie ihren Dienst in der Festung, die Hitze und die Seuchen haßten, daß sie allmählich gegen das Kriegsgeschrei der Indianer abstumpften.
Einige Soldaten verabscheuten die Rothäute, andere waren fasziniert von diesem Volk, das seinen Lebensraum so hartnäckig verteidigte. Viele hatten sogar Freunde unter den Seminolen gefunden. Manche hofften einfach nur, den Krieg zu überstehen und heimzukehren. Aber Teela lernte auch Soldaten kennen, die in der Halbinsel Florida einen Garten Eden sahen, die Erfüllung eines amerikanischen Traums. Dafür kämpften sie mit Leib und Seele.
Einen Großteil ihrer Zeit verbrachte sie mit Dr. Brandeis, und sie genoß seine Gesellschaft. Was er von den Seminolen hielt, wußte sie nicht. In seinem Umgang mit anderen Leuten machte er keinen Hehl aus seinen Sympathien oder Antipathien, wenn er auch bestrebt war, sich mit niemandem zu verfeinden.
Seine wichtigste Pflicht sah er in der Aufgabe, Menschenleben zu retten. Er erklärte Teela den medizinischen Wert einfacher Arzneien wie Schwefel, Salz, Moos, Schlamm, Kräuter und Wurzeln, die man überall in dieser Wildnis fand. Aber er betonte immer wieder, die beste Medizin sei der Lebenswille. Darin müsse sie die Patienten stets bestärken.
Manchmal brachten die Soldaten einen verwundeten Seminolen ins Lazarett. Teela fürchtete Tag für Tag, James in einem der Krankenbetten zu sehen. Inständig hoffte sie, er wäre nach Süden geritten, zu seiner Mutter. Doch sie wußte, daß er bei den Kriegern bleiben würde, um in ihrem Namen über einen etwaigen Waffenstillstand zu verhandeln oder notfalls zu kämpfen ...
So verstrichen die Wochen, während sie wartete und betete und ihrem Stiefvater aus dem Weg ging. Glücklicherweise lobten die kranken und verletzten Soldaten ihre Leistungen im Lazarett so enthusiastisch, daß er sie in Ruhe ließ.
Aber als sie am Schutzwall stand und das Land betrachtete, hörte sie plötzlich seine Stimme. »Teela!«
Sie erschauerte und hatte das sonderbare Gefühl, die Zeit des Wartens wäre beendet. Bald würde etwas geschehen. Sie drehte sich um und sah ihn die Holzstufen heraufsteigen. In strammer militärischer Haltung kam er zu ihr. Sogar inmitten der Wildnis, in der sich die meisten Soldaten eher lässig kleideten, legte er großen Wert auf seine untadelige Uniform, mit gestärktem Kragen, messerscharfen Bügelfalten an den Hosenbeinen und seinen Rangabzeichen über jeder Schulter. »Heute abend findet ein Tanzabend statt, mein Kind, im Hauptsaal des Forts.«
Schon wieder ein Tanzabend, dachte sie bedrückt. War das alles, was passieren sollte? St. Augustine lag nicht allzuweit entfernt. Dort lebten viele junge Damen aus guter Familie, die sogar die gefährliche Reise nach Deliverance auf sich nahmen, um im Kreis der Offiziere einen passenden Ehemann mit erstklassigen beruflichen Aussichten zu suchen. Und die Soldaten flirteten nur zu gern mit den Mädchen.
Teela haßte diese Feste. Wenn es ihr auch nichts ausmachte, mit ihren Freunden zu tanzen — manchmal wurde sie von Männern aufgefordert, deren Mordlust sie voller Abscheu beobachtet hatte, die Menschen wie Tiere jagten. Die Berührung der
Weitere Kostenlose Bücher