Versuchung in blond
abgestelltes Fahrrad zeugte davon, dass dies eine sichere Gegend war. Sam konnte sich die sonntäglichen Grillpartys mit lächelnden Familien gut vorstellen. Es war die Art von Leben, in dessen Genuss sie als Kind nur kurz gekommen war. Jetzt sehnte sie sich danach.
Vor ihrem geistigen Auge stieg ein Bild von einem gemeinsamen Leben mit Jake auf, aber sie schob es schnell weg. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, waren Tagträume von etwas, das doch nie eintreten würde. Sie waren Fremde, durch die Umstände verbunden, mehr nicht.
Jake warf ihr einen Blick zu. „Worüber hast du dich denn vorhin mit Sherry
unterhalten?”
„Sie hat mir von Emily erzählt… was sie durchgemacht haben.”
„Sie sind durch die Hölle gegangen.”
„Aber sie haben überlebt.” Sherrys Stärke machte Sam Hoffnung. Sie hatte das
Schlimmste durchgemacht, das sich eine Frau - und Mutter - nur vorstellen konnte. Sie hatte einen Ehemann verloren und fast auch noch ihre Tochter. Aber sie hatte überlebt. Sam konnte nur hoffen, dass es ihr auch so gut ging, wenn sie dies alles erst hinter sich hatte.
Sie gelangten an eine Grünanlage mit vielen Bäumen. Auf der großen Wiese waren
leere Schaukeln, Klettergerüste und Wippen aufgebaut, deren bunte Farben in dem
schwindenden Licht verblassten.
Sam und Jake schlenderten durch den Park, während sich langsam die Dunkelheit
herabsenkte. Ihre Hände waren sich noch immer nah, berührten sich jedoch nicht. Sam sehnte sich danach, die Hand auszustrecken und diese kleine Verbindung mit ihm herzustellen, um sich wenigstens für diesen Moment als Teil seines Lebens fühlen zu können.
Aber sie hielt sich zurück.
„Sherry ist zäh”, sagte Jake schließlich.
„Man kann sehen, wie viel die beiden dir bedeuten”, sagte Sam weich. „Warum hast du dann den Kontakt zu ihnen abgebrochen?”
„Sherry redet zu viel”, sagte Jake, aber in seiner Stimme schwang keine Verärgerung mit.
Er setzte sich auf eine Bank und ließ die Arme zwischen den Knien baumeln. „Weil Charlie ohne mich heute noch am Leben wäre. Sie brauchten mich nicht um sich - als ständige Erinnerung an das, was sie verloren haben.”
Jetzt waren sie endlich beim Kern der Sache angelangt. Sam setzte sich behutsam neben ihn. „Warum denkst du das, Jake?”
„Es war meine Schuld.”
„Sherry sagt etwas anderes.”
„Sherry war nicht dabei.” Jake schaute Sam nicht an, und sie spürte, dass er
zurückgehen musste … zurück zu der Nacht, in der Charlie getötet worden war. „Ich hätte dem Mädchen nie den Rücken zudrehen dürfen. Ich habe gegen die Vorschriften verstoßen, und Charlie ist deswegen gestorben.”
„Erzähl mir, was passiert ist, Jake.” Sam sprach leise, aus Angst, den Zauber zu brechen.
Sie sah die Qual, die sich auf Jakes Gesicht widerspiegelte. Zwei Jahre hatten seinen Schmerz nicht zu heilen vermocht.
„Da war dieses hübsche blonde Mädchen namens Carla. Der Typ, hinter dem wir her
waren, war ihr Lover.” Jake spie jedes Wort aus, als wäre es vergiftet. „Ein kleiner schmieriger Dealer, der Kindern Drogen andrehte.”
Über ihren Köpfen zwitscherte ein Vogel. Als es wieder still geworden war, drängte Sam Jake weiterzusprechen. „Was ist geschehen?”
„Wir haben ihn in einer Sackgasse gestellt. Es ging alles ganz schnell.
Wir hatten den Kerl schon in Handschellen, seine Freundin stand daneben und heulte
sich die Augen aus.” Jake warf ihr einen Blick zu. „Sie wirkte so hilflos. Wir hatten sie früher schon mal festgenommen gehabt, wegen Drogenbesitzes und Prostitution. Sie war gerade siebzehn und hatte ihr ganzes Leben schon hinter sich.”
Sam konnte nur mitfühlend den Kopf schütteln. Sie kannte diese Bilder, durch ihr
Kameraobjektiv. Das eigentliche Problem waren nicht die Drogen, sondern die
Gleichgültigkeit der Leute.
„Ich habe Charlie gesagt, dass er sie im Auge behalten soll. Sie war völlig aufgelöst, weil wir ihren Typen geschnappt hatten. Charlie war damit beschäftigt, den Burschen ins Auto zu verfrachten, und hörte mich nicht.” Jake schüttelte den Kopf. „Ich war gerade dabei, Meldung zu erstatten, als ich den Schuss hörte.”
„Sie hat Charlie erschossen?”
Er nickte. „Sie zog einfach eine Pistole aus ihrer Handtasche und feuerte, als ob sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan hätte. Es dauerte eine Sekunde, bis mir dämmerte, woher der Schuss gekommen war. Ich rannte um das Auto herum und starrte in die
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