Versuchung Pur
muss wieder zurück.«
»Lassen Sie uns zusammen ein Stück gehen.«
Ein Spaziergang im Mondschein. Eden musste an seine Worte denken. Und an das Schicksal. »Nein, ich kann nicht. Es ist schon spät.«
»Es kann erst halb zehn sein.« Amüsiert nahm er ihre Hand und schaute auf ihre Handfläche hinunter. Sie hatte Hornhaut bekommen. »Sie haben gearbeitet.«
»Manche Leute müssen tatsächlich für ihren Lebensunterhalt arbeiten.«
»Sie brauchen nicht bissig zu werden.« Er drehte ihre Hand und fuhr mit dem Daumen leicht über ihre Knöchel. War das noch eine Begabung von ihm? Das Blut einer Frau mit einer harmlosen Berührung zum Brodeln zu bringen?
»Sie sollten Handschuhe tragen«, fuhr er fort. »Um Ihre Philadelphia-Hände zu schützen.«
»Ich bin aber nicht in Philadelphia.« Sie zog ihre Hand zurück, doch Chase nahm einfach die andere. »Und da ich im Moment Ställe ausmiste und nicht Tee serviere, scheint mir das auch von eher geringer Bedeutung zu sein.«
»Sie werden auch wieder Tee servieren.« Er konnte sie vor sich sehen, in einem eleganten Salon, in einem altrosa Seidenkleid, eine Teekanne aus feinstem Porzellan in der Hand. Doch im Moment lag ihre Hand warm in seiner. »Sehen Sie nur, der Mond steht genau über dem See.«
Sie drehte den Kopf. Die Strahlen des Mondes versilberten die dunklen Wasser des Sees und die Baumkronen. Sie erinnerte sich an die Legende der Mondspinnerinnen, die sie irgendwann gehört hatte: Drei Wassernymphen spinnen das Mondlicht auf ihre Spindeln, damit die Welt für ein paar Stunden ganz dunkel wird. Noch mehr Romantik. Doch selbst die neue, praktische Eden konnte nicht widerstehen.
»Es ist wunderschön. Der Mond sieht zum Greifen nah aus.«
»Manche Dinge sind weiter entfernt, als sie scheinen. Dafür sind andere gar nicht so weit weg.« Er begann zu laufen, und da er noch immer ihre Hand hielt und sie fasziniert war, ging Eden mit ihm.
»Sie haben vermutlich immer hier gelebt.« Small Talk, mehr nicht, sagte sie sich. Es interessierte sie ja gar nicht.
»Den größten Teil meines Lebens, ja. Es war schon immer der Hauptsitz der Firma.« Er wandte sich ihr zu und sah sie an. »Das Haus ist über hundert Jahre alt. Es würde Ihnen wahrscheinlich gefallen.«
Sie dachte an ihr Heim zurück und an die Generationen von Carlboughs, die dort gelebt hatten. Jetzt wohnten Fremde dort. »Ja, ich mag alte Häuser.«
»Läuft im Camp alles glatt?«
Nein, an die Bücher würde sie jetzt nicht denken. »Die Mädchen halten uns auf Trab.« Das Lachen kam von allein, leicht und heiter. »Das ist untertrieben. Sagen wir einfach: Ihre Energie erstaunt uns immer wieder.«
»Wie geht es Roberta?«
»Sie ist unverbesserlich.«
»Freut mich, das zu hören.«
»Letzte Nacht hat sie eine ihrer Zimmergenossinnen angemalt.«
»Angemalt?«
Da war das Lachen wieder, leise, unbeschwert. »Das süße Engelchen muss wohl zwei Farbtöpfe aus dem Malkurs geschmuggelt haben. Als Marcie heute Morgen aufwachte, sah sie aus wie ein Indianer auf Kriegspfad.«
»Unsere Roberta ist einfallsreich.«
»So kann man es auch nennen. Sie hat mir erzählt, dass sie unbedingt die erste Präsidentin des Obersten Gerichtshofes werden will.«
Chase lächelte. Einfallsreichtum und Ehrgeiz waren die Eigenschaften, die er am meisten bewunderte. »Wahrscheinlich schafft sie es auch.«
»Ich weiß. Eine erschreckende Vorstellung.«
»Setzen wir uns. Dann können wir uns die Sterne ansehen.«
Sterne? Sie hatte fast vergessen, mit wem sie zusammen war und warum sie es so unbedingt vermeiden wollte, mit ihm zusammen zu sein. »Ich glaube nicht, dass ich …« Sie hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, als er sie auch schon bei der Hand nahm und neben sich ins Gras zog. »Da wundert man sich doch, dass Sie sich überhaupt die Mühe machen, zu fragen.«
»Das sind meine guten Manieren«, meinte er lässig und legte Eden ebenso lässig den Arm um die Schultern. Während sie sich sofort verspannte, blieb er völlig locker. »Sehen Sie sich den Himmel an! Wie oft bemerkt man ihn überhaupt in der Stadt?«
Eden konnte nicht widerstehen, sie legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel wirkte wie der tiefschwarze Hintergrund, auf dem unzählige Stecknadelköpfe erstrahlten. Blinkend, blitzend, in zeitlosem Glanz funkelten sie von oben herab und erfüllten Eden mit einer schmerzhaften Sehnsucht. »Das ist nicht der gleiche Himmel wie über der Stadt.«
»Doch, ist es, Eden. Es sind die Menschen, die anders
Weitere Kostenlose Bücher