Versunkene Gräber - Roman
hatte an Poznań gedacht.
»Ich auch.«
Der Blick seiner Augen, grau und klar, verfing sich in ihrem. Für zwei Sekunden schien es, als ob es nur sie beide gäbe inmitten der hastenden, rufenden, sich am Eingang zum Vorlesungsraum drängelnden Studenten.
Ein grauer Kastenwagen kam um die Biegung und hielt auf das Haus zu. Zuzanna warf die Zigarette auf den Boden und erstickte die Glut mit einem Tritt. Näher am Tatort hätte sie das nicht gemacht, um die Spuren nicht zu verschmutzen.
Zwei Männer stiegen aus und kamen auf sie zu. Sie stellten sich als Mitarbeiter der Ermittlungsabteilung der Staatsanwaltschaft Zielona Góra vor. Während sie die Overalls überstreiften und ihre Koffer aus dem Laderaum holten, trafen ein Polizeiauto und ein Zivilfahrzeug ein. Die Polizisten stellten den Wagen quer auf die Zufahrt, damit nach ihnen niemand mehr hereinfahren oder sie ungesehen passieren konnte.
Aus dem unscheinbaren Audi stieg ein Mann, Ende vierzig, korpulent, der zehn Meter gegen den Wind nach Rasierwasser roch. Er gab Zuzanna eine weiche Hand und sah sich um. Sie erinnerte sich in letzter Sekunde an seinen Namen. Marian Sobczak. Staatsanwalt der Bezirksstaatsanwaltschaft Zielona Góra, Ermittlungsabteilung V. Er war alles andere als begeistert gewesen, dass der Mord von Janekpolana den Kollegen in Poznań in den Schoß gefallen war. Aber das dortige Gefängnis war für einen längeren Aufenthalt besser geeignet. Es war eine bürokratische Entscheidung gewesen. Dennoch musste für Sobczak ein schlechter Beigeschmack geblieben sein. Er sah missgelaunt aus. Das wäre Zuzanna auch, wenn sie die Drecksarbeit für die Kollegen erledigen müsste, die sich um diese Stunde noch einmal im Bett umdrehten.
»Herr Sobczak. Gut, dass Sie die Herren gleich mitgebracht haben.«
Normalerweise wäre er allein gekommen, allenfalls mit der policja , um dann zu entscheiden, ob er die Spurensicherung anfordern würde. Dass er die beiden morgenmüden Techniker im Schlepptau hatte, gefiel ihr.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Makowska. Schön, Sie so bald wiederzusehen.«
Sie hatten ein kurzes Briefing Anfang der Woche gehabt. Normalerweise wurde das schriftlich gehandhabt. Im Moment allerdings war Zuzanna jeder Vorwand recht, um nach Zielona Góra zu fahren. Sie war gleich nach Vernaus Anruf unter die Dusche gestiegen und hatte sich auf den Weg gemacht. Die Belohnung war der wunderschöne Moment gewesen, als ihr kleines Mädchen die Augen aufgeschlagen und die Ärmchen um ihren Hals geschlungen hatte. Das gemeinsame Frühstück mit ihren Eltern und der Weg mit Ali zum Kindergarten hatten keine halbe Stunde gedauert. Nun war sie hier. Dreißig Minuten Glück mussten für den Rest des Tages reichen.
»Die Freude ist ganz meinerseits.«
Er wirkte vielleicht gemütlich wie ein Bär, war jedoch mindestens genauso angriffslustig. Die kleinen, dunklen Augen in seinem runden Gesicht blitzten in einer Mischung aus amüsiertem Ärger und Ungeduld angesichts der Zumutung, zu dieser Stunde an diesem einsamen Flecken das Tagwerk zu beginnen.
»Wo soll sich der Vorfall abgespielt haben?«
Sie wies auf den überwucherten Eingang zum Friedhof und die Bäume, aus denen der Glockenturm der Kapelle ragte. »Dort. Ich habe gleich Ihre Kollegen informiert, aber als sie kamen, war der Einbrecher schon weg. Als Nächster standen Sie auf meiner Liste.«
Er grunzte nur. Mit einer knappen Kopfbewegung wies er die Polizisten an vorauszugehen. Die Kriminaltechniker warteten noch auf genauere Anweisungen.
Sie folgten den beiden Männern, die vor dem schiefen Gartentor am Eingang des Friedhofs auf sie warteten. Sobczak pulte einen Kaugummi aus seinem Papier und steckte sich den Streifen in den Mund.
»Wie ich schon sagte, heute Nacht war jemand in der Kapelle. Herr Vernau hat beobachtet, wie er sich am Boden unter dem Altar zu schaffen gemacht hat. Es könnte sein, dass es ein weiterer Tatbeteiligter war.«
»Vernau?«
»Der Anwalt der flüchtigen Marie-Luise Hoffmann.«
»Ein deutscher Anwalt?« Sobczak holte einen kleinen Notizblock hervor und zog die Kappe seines Filzschreibers mit den Zähnen ab. »Was hat er hier zu suchen?«
»Das wüsste ich selber gerne. Nach Ihnen.«
»Nach Ihnen , Pani Makowska.«
Sobczak hielt ihr das Tor weit genug auf, damit sie hindurchschlüpfen konnte, ohne von einem herausragenden Eisenteil aufgeschlitzt zu werden. Er wartete, bis sie den Eingang passiert hatte, dann zwängte er sich selbst hindurch. Die
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