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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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Meeresspiegel angestiegen war, hatten sie riesige Deiche errichtet, um ihre Küsten zu schützen. Ihre größten Städte, wie die Insel Schanghai, schwammen inzwischen auf dem Wasser.
    Â» You wenhua « , hatte ihr Vater gesagt. China hatte Kultur. Die Chinesen wussten, wie man hezuo – » kooperiert « – , zusammenarbeitet.
    Nicht wie die versunkenen Städte. Die Menschen hier waren wie Tiere. Sie dachten nicht vorausschauend. Sie kämpften nur ständig und gaben sich gegenseitig die Schuld dafür, dass sie arm und krank waren, anstatt etwas dagegen zu unternehmen. Die Bewohner der versunkenen Städte waren sogar noch schlimmer als Tiere, weil sie Vernunft besaßen, sie aber nicht einsetzten.
    Â» Schwer vorstellbar, dass dieses Land einmal mächtig gewesen ist « , hatte ihr Vater mehr als einmal gesagt, während er auf die Stadt hinausgeschaut hatte, in der er stationiert war.
    Wenn Mahlia durch die Kanäle der versunkenen Städte gefahren war, hatte sie den Unterschied deutlich sehen können. Die Stadtbewohner waren arm und zerlumpt, die Friedenswächter dagegen großgewachsen und gesund. Die Bilder der Insel Schanghai auf dem chinesischen Papiergeld zeigten einen ähnlichen Kontrast: Schanghai, gewaltig und strahlend, umgeben von einem blauen Ozean, im Vergleich zu den versunkenen Städten, wo die Straßen von schlammigem, brackigem Wasser überflutet waren, das an den Fundamenten der Häuser nagte.
    Damals war Mahlia froh gewesen, eine Chinesin zu sein. Bis zu dem Tag, als ihr Vater ihr einmal ein Holzspielzeugpferd weggenommen und sie ihn deswegen gebissen hatte. Er hatte ihr eine Ohrfeige verpasst und gesagt, sie hätte zu viel von den versunkenen Städten in sich.
    Â» Kein Respekt « , hatte er gesagt. » Ein Tier bist du, genau wie deine Mutter. «
    Mahlias Mutter hatte sich deswegen mit ihm gestritten, und Mahlia hatte plötzlich Angst bekommen. Ihr Vater hasste die versunkenen Städte zutiefst. Und ihr war langsam bewusst geworden, dass sie genauso war wie die Menschen, gegen die er jeden Tag kämpfte.
    Mahlia hatte sich unter dem Bett versteckt und sich für ihre Dummheit selbst gebissen. » Mei wenhua « , hatte sie gesagt, » keine Kultur « . Doch als sie ihrem Vater als Beweis für ihre Selbstzüchtigung ihre blutige Hand gezeigt hatte, hatte er sie nur noch enttäuschter angesehen.
    Während Mahlia jetzt mit Mouse durch die Sümpfe lief, fragte sie sich, was ihr Vater heute von ihr denken würde. Ein Mädchen mit nur einer Hand? Eine schmutzige Kriegsmade, die Eier aus Vogelnestern stehlen musste, um zu überleben? Was würde er von ihr halten? Sie kannte die Antwort bereits. Sie war zwar eine Halbchinesin, aber ihre Herkunft aus den versunkenen Städten ließ sich nicht leugnen. In seinen Augen wäre sie bloß ein Tier, das sich nicht bändigen ließ.
    Mahlia lächelte bitter. Ihr Vater konnte sie mal. Er war mit eingezogenem Schwanz geflüchtet, weil er für die versunkenen Städte zu zivilisiert gewesen war. Er hatte die Kriegsherren zwar Papiertiger genannt, aber am Ende war er derjenige gewesen, der aus Papier gemacht war. Die chinesischen Friedenswächter hatten gefährlich ausgesehen mit ihren Waffen und ihrer Körperrüstung, doch sie waren fortgeweht worden wie Blätter.
    Wäre Mahlia so zivilisiert wie die Friedenswächter, hätte sie es nicht einmal geschafft, aus den versunkenen Städten herauszukommen. Sie hatte Glück gehabt. Die Parzen hatten es gut mit ihr gemeint und ihr eine verrückte rothaarige Kriegsmade geschickt, die im entscheidenden Moment zur Stelle gewesen war.
    Â» Hee, Mouse? «
    Â» Hm? « erwiderte Mouse abwesend. Er hatte gerade die Machete übernommen und hackte sich nun durch die Ranken, die den Pfad überwucherten.
    Â» Wie kam es eigentlich, dass du mich damals gerettet hast? « , fragte Mahlia. » Als die Gottesarmee… « Sie zögerte einen Moment und erinnerte sich an den Anblick ihrer abgeschlagenen Hand im Schlamm. Sie schluckte. » Als die Soldaten mich… verstümmelt haben. Wieso hast du dich da eingemischt? «
    Mouse hielt inne und sah mit gerunzelter Stirn zu ihr herüber. » Wie meinst du das? «
    Â» Du hättest das ja nicht machen müssen. Es wäre sicherer gewesen, den Kopf einzuziehen und sich still zu verhalten. «
    Â» Reine Dummheit wahrscheinlich.

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