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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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dass nichts davon passiert war. Dass ihr Vater immer noch da war, sie ihre rechte Hand noch hatte, und sich alles zum Besseren wenden würde.
    Â» Glaubst du, dass sie wiedergekommen sind? « , fragte Mouse noch einmal.
    Glaubst du das?
    Â» Nein. « Mahlia lachte gezwungen. » Die müssen eines der alten Geschütze repariert oder ein neues gekauft haben. Vielleicht haben sie auch irgendein Schiff auf dem Atlantik überfallen und eines gestohlen. « Sie zuckte mit den Achseln. » Die Chinesen kommen nicht wieder. «
    Ein weiteres Mal war das 999er zu hören. Ein nostalgisches Geräusch. Das Geräusch eines Krieges, den ihr Vater gewann.
    999.
    Eine Glückszahl, hatte ihr Vater immer gesagt. Er hatte abends in ihrer Wohnung gesessen, Kong Fu Jia Jiu getrunken, der mit Schiffen von Peking herangeschafft worden war, und aus dem Fenster gesehen. Orangefarbene und gelbe Explosionen hatten den Himmel erleuchtet, jeden Abend dasselbe Feuerwerk. Er hatte den Geschützen gelauscht.
    Â» Jiu jiu jiu « , hatte er gesagt. » 999. «
    Mahlia erinnerte sich besonders an dieses Geschütz, weil ihr Vater überzeugt gewesen war, dass es den Friedenswächtern mit der Glückszahl 999 endlich gelingen würde, die Truppen der Kriegsherren zu zerschlagen. Und dann könnten sie den Wilden in den versunkenen Städten zeigen, wie man sich zivilisiert benimmt. Die Papiertiger-Kriegsherren würden einsehen, dass man mit Gewalt und Hass keine Probleme löst. Am Ende würden sich die Kriegsherren am Verhandlungstisch zusammensetzen und eine Möglichkeit finden, ohne Waffen miteinander auszukommen.
    Ihr Vater hatte am Fenster gesessen, den klaren Schnaps in der Hand, und gelauscht, wie das Gewehrfeuer durch die Kanäle hallte, und er hatte jede einzelne Waffe beim Namen genannt. » .45, 30-06, AK -47, .22, QBZ -95, M-60, AA -19, AK -74, Kaliber 50, 999. « Vom Singsang ihres Vaters her kannte Mahlia die vielen Stimmen des Krieges.
    Später, als die Waffen auf sie gerichtet waren, und sie mit letzter Kraft aus dieser Hölle zu entkommen suchte, hatte sie sie dann aus eigener Erfahrung kennengelernt: das Rattern der AK s und das Bellen der 12-kalibrigen Waffen, die das Gras um sie herum zerfurchten und das Sumpfwasser aufspritzen ließen.
    Mahlia hatte ihre Namen geflüstert, während sie ihre Panik bekämpft hatte, um nicht wie ein ängstliches Kaninchen aufzuspringen und in den Kugelhagel zu geraten. Sie hatte sich bemüht, den Lehren Sun Tzus zu folgen und keinen schweren Fehler zu begehen. Vor allem nicht in Panik zu geraten wie die anderen dummen Zivilisten, die allesamt niedergeschossen worden waren.
    In der Ferne war eine weitere Explosion zu hören. Ein 999er– kein Zweifel. Ein Geschütz, das Glück brachte.
    Für irgendjemanden jedenfalls.
    Mahlia blickte auf ihre Hand hinab und stellte überrascht fest, dass sie immer noch voller Blut war. Sie erinnerte sich wieder an das Neugeborene und Tanis Tod. Und warum sie nach Mouse gesucht hatte.
    Â» Mahfouz möchte, dass wir etwas zu essen auftreiben und bei Amaya abgeben. Um ihr zu helfen, weil sie sich um Tanis Kind kümmert. «
    Â» Der Doc ist einfach zu nett. «
    Mahlia stieß ihn mit dem Ellbogen an. » Na ja, er nimmt faule Kriegsmaden wie dich bei sich auf, also hast du wahrscheinlich recht. «
    Â» Hee! « Mouse musste sich an dem Eisenträger festhalten, um nicht hinunterzufallen. » Willst du mich umbringen? «
    Â» Bei den Parzen, nein! Wenn du den Abgang machst, muss ich die ganze Arbeit allein erledigen. «
    Â» Tja, und dafür hast du eindeutig kein Händchen. «
    Bevor Mahlia ihn schlagen konnte, schwang sich Mouse von dem Eisenträger und hangelte sich behände wie ein Affe zu einem, der nach unten führte.
    Mahlia, die ihm hinterhersah, spürte einen Stich des Neids. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden. Über manche Dinge dachte man lieber nicht nach. Es machte einen nur traurig und wütend.
    Mouse rutschte an dem Träger zum nächsten Stockwerk hinunter. » Weshalb geben wir uns überhaupt solche Mühe, etwas zu essen ranzuschaffen, wenn der Doc es dann doch nur verschenkt? « , fragte er Mahlia, während sie an der Mauer hinunterkletterte.
    Â» Woher soll ich das wissen? Vielleicht gilt der Spruch ›so was kommt von so was‹ ja auch für die guten Sachen. Für Mahfouz ist alles ein ständiges Geben und

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