Versunkene Staedte
was es wohl sein könnte, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel⦠Die Soldaten hatten Angst. Sie starrten in den dunklen, raschelnden Dschungel und warfen immer wieder nervöse Blicke zu den Toten hinüber. Sie fürchteten sich. Vier ihrer Leute waren innerhalb kürzester Zeit in Stücke gerissen worden. Trotz ihrer Angeberei und der Drohungen hatten diese Jungs dem Geschöpf, das sie im Dschungel jagten, nicht das Geringste entgegenzusetzen, und sie wussten es.
Mahlia wünschte sich, es gäbe irgendeine Möglichkeit, ihnen den Halbmenschen auf den Hals zu hetzen. Sie stellte sich vor, wie das Ungeheuer die Soldaten dahinmetzelte. Wünschte sich, dass der Dschungel sie einfach verschlucken würde.
Der Dschungel hatte Zähne, und die machten die Soldaten nervös. Zähne. Mahlia hielt inne und betrachtete erneut die Soldaten. Ihr kam eine Idee. Unwillkürlich musste sie lächeln.
Zähne könnt ihr haben.
Sie richtete sich auf und wrang den Lappen aus.
» Wo willst du hin? « , fragte Ocho. » Du bist noch nicht fertig. «
» Du brauchst bessere Medikamente. Ich habe da was für dich. «
» Ich dachte, ihr hättet nichts mehr. «
» Wenn ihr netter zu mir wärt, anstatt mich ständig wie ein Tier zu behandeln, würdet ihr selbst besser damit fahren. «
» Das ist Friedenswächter-Geschwätz. « Aber der Anflug eines Lächelns kehrte auf Ochos Gesicht zurück, und er winkte sie fort.
In der Behausung des Arztes fand Mahlia den Leutnant an dem grob gezimmerten Tisch sitzen. Er las in einem von Doktor Mahfouzâ alten Büchern, während der Arzt neben ihm saà und ihm mit ruhiger Stimme seine Fragen über den Dschungel beantwortete.
Der Leutnant blickte auf, als sie durch die Luke hineingeklettert kam. » Was willst du, Mädchen? «
» Ich muss die Verbände des Sergeanten wechseln. AuÃerdem ist mir eingefallen, wo wir noch ein paar Medikamente versteckt haben « , sagte sie.
» Noch mehr Medikamente? « , fragte der Leutnant. » Haben Sie uns etwas vorenthalten, Doktor? «
Doktor Mahfouz wirkte überrascht, überspielte es jedoch ganz gut. » Mahlia kümmert sich um unsere Medikamente. « Er tippte gegen seine Brille. » Weil ich nicht mehr so gut sehe. « Er nickte in ihre Richtung. » Geh nur. «
Mahlia sah den Leutnant an. » Soll ich nun die Medikamente holen oder nicht? «
Er winkte sie weiter. » Lass dich von mir nicht aufhalten. «
Mahlia ging zu einer dunklen Ecke der Wohnung und kauerte sich nieder. Sie nahm ein paar vermoderte Bücher von einem der unteren Regalbretter. Sie gab das Versteck des Arztes nur ungern preis, aber die Soldaten hätten es früher oder später wahrscheinlich sowieso gefunden oder seinen Standort gewaltsam aus Mahlia oder dem Arzt herausgeholt.
Hinter der ersten Reihe Bücher befanden sich noch weitere. Die zog Mahlia heraus und öffnete sie. Die Medikamentenvorräte des Arztes kamen zum Vorschein. Unter dem Blick des Leutnants holte sie mehrere Packungen Tabletten hervor.
» Sie haben gesagt, Sie hätten nur noch ganz wenig « , sagte der Leutnant zu Doktor Mahfouz.
Der Arzt seufzte. » Das sind unsere letzten Reserven. Medikamente sind sehr schwierig zu beschaffen, und wir besitzen kaum etwas, mit dem wir handeln können. Die Männer auf dem Schwarzmarkt sind an dem, was wir zu bieten haben, meist nicht interessiert. «
Mahlia durchsuchte die Medikamente, ohne auf den Blick des Leutnants zu achten. Die Beschriftungen verstand sie nur ansatzweise, weil sie in einem Chinesisch verfasst waren, das deutlich komplizierter war als die Schriftzeichen, die sie in ihrer Kindheit gelernt hatte. Auf den Packungen befanden sich jedoch auch gezeichnete Anleitungen für die Analphabeten in den versunkenen Städten, sodass man bei den meisten Medikamenten erkennen konnte, wofür sie gedacht waren und wie viel man davon einnehmen musste.
Am liebsten hätte sie alles mitgenommen, aber so viel konnte sie nicht tragen. Sie durchsuchte die Tablettenpackungen. Alte, die der Arzt gehortet hatte, und neue, die er unter groÃen Mühen und Gefahren bei den Schmugglern in Moss Landing erworben hatte.
Sie nahm eine Handvoll mit. Die würden ausreichen müssen. Dann öffnete sie ein weiteres Buch und suchte eine kleine grüne Glasflasche heraus, die eine milchige Flüssigkeit enthielt.
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