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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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ausgebombter Gebäude oder lagen mit dem Gesicht nach unten im Schlamm von Bewässerungsgräben. Fliegen krochen ihnen in Nasen, Münder und Augen. Eine Maus hier, eine da. Sie auszulöschen verschaffte einem nicht das geringste Triumphgefühl.
    Die Sonne wanderte über den Himmel, und Tool träumte von umherflitzenden Mäusen.
    Ich sterbe.
    In Tools Jugend hatten seine Ausbilder ihm erzählt, dass er mit dem Sonnenwagen ins Jenseits gelangen würde, wenn er und sein Rudel gut gekämpft hatten. Wenn er starb, würde er in ein Land voll Fleisch und Honig eingehen, wo sein Rudel auf ihn wartete. Sie würden Tiger mit bloßen Händen jagen.
    Bald.
    Er erinnerte sich an die Elektroschockstäbe seiner Ausbilder. Funken waren niedergeregnet, wenn sie ihn damit auf die Nase geschlagen hatten. Er hatte sich geduckt, und seine Brüder und Schwestern waren vor Angst geflüchtet.
    Die Ausbilder mit ihren Schockstäben. Strenge Männer und Frauen. Die Crème de la Crème aus dem harten Drill von GenSec Military Solutions; Ltd. GenSec wusste, wie man Gehorsam erzeugte. Mit Lektionen aus rohem Fleisch und kalter Elektrizität. Stiebende Funken.
    Böser Hund!
    Tool erinnerte sich, wie er zitternd darum gefleht hatte, Befehle erfüllen zu dürfen. Zu kämpfen und zu töten. Anzugreifen.
    Und zu gehorchen.
    Und dann kam der General. Der freundliche und ehrenhafte Mann, der sie aus dem GenSec-Lager rettete. Der General, der ihr Rudel aus der Hölle hinausführte. Zusammen traten sie aus der Finsternis, um unter dem Sonnenwagen wiedergeboren zu werden. Vor lauter Dankbarkeit schworen sie General Caroa ewige Treue.
    Aus der Hölle gerettet, hätte Tool ein Leben lang dem General dienen sollen– oder jedenfalls solange, wie er ihm von Nutzen sein konnte. Er hatte kämpfen müssen, aber zugleich das angenehme Gefühl genossen, Teil von etwas Größerem zu sein. Er hatte zur Armee und zu seinem Rudel gehört.
    Braver Hund.
    Die Sonne ging unter.
    Tool bemerkte einen Jungen, der wie ein Geier neben ihm hockte und ihn gierig ansah.
    Viele aus Tools Rudel waren von Geiern, mageren Hunden oder Raben gefressen worden. Sie waren zu fernen Küsten gereist, und sie waren gestorben. Als sie in Indien gegen die Tigergarde gekämpft hatten, hatten die Geier schon vor Beginn des Kampfes am dunstigen blauen Himmel ihre Kreise gezogen. Sie hatten gewusst, dass es in den offenen Sümpfen an der Mündung des Hooghly River immer etwas zu fressen für sie gab. Aber General Caroa hatte das nicht aufgehalten.
    Tool und die Mitglieder seines Rudels hatten sich auf Befehl des Generals in den Kampf gestürzt. Sie hatten getötet und waren selbst getötet worden.
    Und jetzt saß ein Geier neben ihm und wartete.
    Nein, kein Geier… ein Junge.
    Der Mausejunge.
    Tool betrachtete die dünne rothaarige Kreatur und fragte sich, warum sie nicht davonlief. Richtig, er hatte den Mausejungen am Schwanz gepackt. An den Grund dafür erinnerte er sich nicht mehr. Die Maus war ein Gefangener, und Gefangene waren nützlich. Manchmal hatte der General Befehl gegeben, feindliche Soldaten gefangen zu nehmen, anstatt sie zu töten…
    Tool wusste nicht mehr genau, warum er den Jungen festhielt. Aber es war ihm egal. Er lag im Sterben. Da war es nicht schlecht, ein bisschen Gesellschaft zu haben. Er selbst hatte viele seiner Brüder und Schwestern sterben sehen und ihren letzten Worten gelauscht. Wenn man starb, war es gut, jemanden bei sich zu haben, der sich später daran erinnerte.
    Der Junge versuchte, sich loszureißen, aber Tool besaß noch genug Kraft, um ihn daran zu hindern.
    Â» Nein « , knurrte er. » Du bleibst hier. «
    Â» Warum lässt du mich nicht einfach gehen? «
    Â» Dich gehen lassen? Bettelst du um deine Freiheit? « , Tool schnaufte verächtlich. » Denkst du etwa, die Erste Klaue von Lagos hätte Mitleid gezeigt, als wir im Zweikampf miteinander gerungen haben? Meinst du, ich hätte ihn angefleht, mich gehen zu lassen, als er mir die Klinge an den Hals gedrückt hat? « Tool lachte bitter. » Mein General hätte mich auch nicht einfach so ziehen lassen. General Caroa hätte niemals jemandem die Freiheit geschenkt. « Tool starrte den Jungen an. Ein jämmerlicher Schwächling. » Bettel niemals um Gnade! Akzeptiere, dass du versagt hast. Betteln ist nur etwas für Hunde und Menschen. «
    Â»

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