Verteidigung
seinem Büro kampierte, einen Eindringling niederschoss, der sein Bürogebäude mit einem Molotowcocktail abfackeln wollte, weil die Kanzlei illegale Arbeiter in einem Arbeitsgerichtsverfahren wegen Ausbeutung gegen einen Arbeitgeber vertrat, der vor Jahren durch Verbindungen zur organisierten Kriminalität aufgefallen war? Oscar wurde als furchtloser Prozessanwalt von der Chicagoer Southwest Side porträtiert, der ganz nebenbei einer der leitenden Anwälte in der Sammelklage gegen Varrick Labs und deren furchtbares Medikament Krayoxx war. Die Tribune zeigte ein kleineres Foto von David sowie Schnappschüsse des Inhabers von Cicero Pipe und seiner Handlanger auf dem Weg ins Gefängnis.
Das gesamte Alphabet trat auf den Plan – FBI, DOL (Arbeitsministerium), ICE (Einwanderung und Zoll), OSHA (Arbeitsschutz), DHS (Heimatschutz) und die für die Überwachung der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand zuständige OFCCP –, und praktisch jede Behörde hatte den Journalisten etwas zu sagen. Die Bauarbeiten ruhten bereits den zweiten Tag, und der Generalunternehmer war außer sich. Finley & Figg wurde erneut von Journalisten, Ermittlern, potenziellen Krayoxx-Mandanten und einer bunt gemischten Laufkundschaft belagert, die deutlich zugenommen hatte. Oscar, Wally und Rochelle hielten ihre Waffen griffbereit. David dagegen beharrte auf seiner glückseligen Naivität.
Zwei Wochen später verließ Justin Bardall das Krankenhaus in einem Rollstuhl. Gegen ihn, seinen Chef und eine dritte Person war wegen zahlreicher Tatvorwürfe Anklage beim Bundesgericht erhoben worden. Sein linkes Schienbein war zerschmettert und würde noch mehrfach operiert werden müssen, aber langfristig gingen die Ärzte von einer vollständigen Genesung aus. Er hatte seine Anwälte, seinen Chef und die Polizei darauf hingewiesen, dass der Schuss auf sein linkes Bein unnötig gewesen war, da er durch die vorherige Verwundung bereits außer Gefecht gesetzt war, fand aber wenig Mitgefühl.
»Seien Sie froh, dass er Ihnen nicht das Gehirn weggepustet hat«, sagte ein Detective und gab damit die allgemeine Meinung wieder.
30
Endlich löste Jerry Alisandros eines seiner Versprechen ein. Er sei mit der Organisation der Vergleichsverhandlungen sehr beschäftigt und habe, wie Wally von einem seiner angestellten Anwälte erfuhr, einfach keine Zeit für Telefonate mit den Dutzenden von Anwälten, mit denen er jongliere. Aber in der dritten Augustwoche schickte er endlich die Gutachter.
Der Name des Sachverständigenbüros war bedeutungslos – Allied Diagnostic Group oder besser ADG. Soweit Wally feststellen konnte, handelte es sich dabei um ein medizinisches Team aus Atlanta, dessen einzige Aufgabe es war, landauf, landab Menschen zu untersuchen, die unbedingt von Alisandros’ letzter Sammelklagenoffensive profitieren wollten. Auf Anweisung mietete Wally einhundertfünfundachtzig Quadratmeter in einem heruntergekommenen Einkaufszentrum, die früher einem Discounter für Tierbedarf gehört hatten. Er ließ von einem Bauunternehmer Wände einziehen und Türen anbringen und engagierte eine Reinigungsfirma, die alles auf Hochglanz brachte. Die Fenster zur Straßenseite waren mit Packpapier verhängt, Schilder gab es nicht. Er mietete ein paar billige Stühle, Tische und einen Schreibtisch, installierte ein Telefon und einen Kopierer. Alle Rechnungen leitete Wally an einen Sachbearbeiter in Alisandros’ Kanzlei weiter, dessen einzige Aufgabe darin bestand, über die Ausgaben für den Krayoxx-Prozess Buch zu führen.
Als die Räumlichkeiten fertig waren, zog die ADG ein und ging an die Arbeit. Das Team bestand aus drei medizinischtechnischen Assistentinnen in blauer OP-Kleidung. Jede von ihnen war mit einem Stethoskop ausgerüstet. Sie wirkten so offiziell, dass selbst Wally sie zunächst für hoch qualifiziert hielt. Das waren sie zwar nicht, dafür hatten sie Tausende potenzieller Kläger untersucht. Ihr Leiter war Dr. Borsow, ein russischer Kardiologe, der viel Geld mit der Diagnose von Patienten/ Mandanten für Jerry Alisandros und ein Dutzend andere Prozessanwälte im Land verdiente. Dr. Borsow kannte kaum Fettleibige ohne ernsthafte Gesundheitsprobleme, die dem gerade aktuellen Sammelklagenmedikament zugeschrieben werden konnten. In der Verhandlung trat er nie als Sachverständiger auf- dafür war sein Akzent zu stark und seine Qualifikation zu schlecht –, aber im Untersuchungszimmer war er sein Gewicht in Gold wert.
David, der nun de facto für alle
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