Verteidigung
mittlerweile vierhundertdreißig Fälle ohne Todesfolge zuständig war, und Wally, der die Krayoxx-Mandanten aufgetrieben hatte, waren zugegen, als die ADG mit der Fließbandarbeit begann. Punkt acht Uhr trafen drei Mandanten ein, die von Wally und einer hübschen medizinisch-technischen Assistentin in OP-Kleidung und weißen Krankenhaus-Clogs aus Gummi mit Kaffee empfangen wurden. Der Papierkram dauerte zehn Minuten; dabei sollte in erster Linie sichergestellt werden, dass die Mandanten Krayoxx tatsächlich länger als sechs Monate eingenommen hatten. Der erste Mandant wurde in ein zweites Zimmer geführt, wo zwei weitere MTA warteten und alles für eine Echokardiografie vorbereitet war. Eine erklärte die Untersuchung – »Wir machen nur ein digitales Bild von Ihrem Herzen« –, während die andere dem Patienten auf ein eigens verstärktes Spezialkrankenbett half, das die ADG zusammen mit den Untersuchungsgeräten von einem Ort zum anderen karrte. Während die Brust des Patienten mit Ultraschall abgetastet wurde, kam Dr. Borsow herein und nickte ihm kurz zu. Im Umgang mit Kranken hatte Borsow kein gutes Händchen, aber er hatte ja auch keine echten Patienten. Über der linken Tasche seines wadenlangen Ärztekittels prangte sein Name, das eigene Stethoskop verlieh ihm die gebührende Würde, und seine Worte klangen durch den Akzent besonders gewichtig. Er warf einen Blick auf den Bildschirm, runzelte die Stirn, weil er das immer tat, und verließ den Raum.
Die Kampagne gegen Krayoxx beruhte auf Untersuchungen, die angeblich nachwiesen, dass das Medikament den Mitralklappenring schwächte, sodass die Mitralklappe nicht mehr richtig schloss und Blut in den Herzvorhof zurückfloss. Durch die Echokardiografie konnte eine solche Mitralinsuffizienz festgestellt werden; eine Verminderung der Pumpleistung um dreißig Prozent war für die Anwälte ein Geschenk des Himmels. Dr. Borsow sah sich die Kurven sofort an, in der Hoffnung, noch mehr defekte Mitralklappen zu finden.
Jede Untersuchung dauerte zwanzig Minuten, das waren drei pro Stunde, etwa fünfundzwanzig pro Tag, sechs Tage pro Woche. Wally hatte die Räumlichkeiten für einen Monat gemietet. Die ADG belastete das Prozesskonto, das bei Zell & Potter für Finley & Figg geführt wurde, pro Untersuchung mit tausend Dollar, wobei die Rechnungen an Jerry Alisandros in Florida gingen.
Die vorherigen Stationen der ADG und Dr. Borsows waren Charleston und Buffalo gewesen. Von Chicago aus sollte es nach Memphis und Littie Rock gehen. Ein anderes ADG-Team mit einem serbischen Arzt, der die Bilder interpretierte, deckte die Westküste ab. Ein drittes war in Texas auf der Jagd nach Gold. Das Krayoxx-Netz von Zell & Potter umfasste vierzig Bundesstaaten, fünfundsiebzig Anwälte und fast achtzigtausend Mandanten.
Um dem Chaos in seinem Büro zu entgehen, trieb sich David im Einkaufszentrum herum und unterhielt sich mit seinen Mandanten, von denen er bisher keinen persönlich kannte. Im Allgemeinen waren sie froh, da zu sein, machten sich Sorgen wegen der möglicherweise durch das Medikament verursachten Herzschäden und hofften, irgendwie wieder gesund zu werden. Sie waren übergewichtig und völlig außer Form, aber recht nett. Schwarz, weiß, jung, männlich, weiblich – Fettleibigkeit und überhöhte Cholesterinwerte machten keinen Unterschied. Alle Mandanten, mit denen er redete, waren von dem Medikament und seiner Wirkung begeistert gewesen; jetzt suchten sie verzweifelt nach Ersatz. Allmählich kam er auch mit den MTA der ADG ins Gespräch und erfuhr mehr über ihre Arbeit, obwohl sie sich sehr bedeckt hielten. Dr. Borsow wechselte kaum ein Wort mit ihm.
Nach den ersten drei Tagen wurde David klar, dass die Untersuchungen nicht so verliefen, wie das ADG-Team sich das vorgestellt hatte. Die 1000-Dollar-Tests ergaben kaum Hinweise auf Mitralinsuffizienz, höchstens ein paar Fälle mit Potenzial.
Am vierten Tag fiel die Klimaanlage aus, und die von Wally angemieteten Räume verwandelten sich in eine Sauna. Es war August, über dreißig Grad warm, und als der Vermieter nicht auf Anrufe reagierte, drohten die ADG-Leute mit der Abreise. Wally schleppte Ventilatoren und Eiscreme an und flehte sie an, die Untersuchungen abzuschließen. Die Arbeit ging weiter, aus zwanzig Minuten für jede Untersuchung wurden fünfzehn, dann zehn, während Borsow draußen auf dem Gehweg Zigaretten paffte und kaum mehr als einen flüchtigen Blick auf die Bilder warf.
Richter
Weitere Kostenlose Bücher