Verteidigung
geschlossen.
»Mindestens zehn Millionen, und es ist tatsächlich nichts dabei herausgekommen. Tut mir leid, Jerry, aber es sieht so aus, als wäre das Medikament völlig unschädlich. Da ist nichts zu holen. Wenn wir sofort abbrechen, hält sich der Schaden wenigstens im Rahmen.«
»Ich habe dich nicht um deinen Rat gebeten.«
»Nein, hast du nicht.« Carlton ging und schloss die Tür hinter sich. Alisandros sperrte hinter ihm ab und legte sich aufs Sofa, wo er lang ausgestreckt gegen die Decke starrte. Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Medikament als nicht ganz so schädlich erwies, wie er behauptet hatte. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Varrick nicht ganz auf dem Laufenden war. Vielleicht hatte das Unternehmen nicht alle Informationen, die Alisandros jetzt zur Verfügung standen. Die Gerüchte über einen Vergleich hatten den Aktienkurs kontinuierlich in die Höhe getrieben; am Freitag vor dem langen Wochenende hatte er mit 34,50 Dollar geschlossen. Vielleicht, ganz vielleicht, konnte er bluffen und den Vergleich noch schneller als geplant über die Bühne bringen. Das hatte es alles schon gegeben. Manchmal zahlten Unternehmen, die über die entsprechenden Barmittel verfügten und von der Presse lange genug niedergemacht worden waren, jeden Preis, um sich Rechtsstreit und Anwälte vom Hals zu schaffen.
Als die Minuten vergingen, entspannte er sich allmählich. Er konnte nicht an all die Wally Figgs draußen im Land denken – die waren alt genug, um selbst zu entscheiden, ob sie klagen wollten oder nicht. Und er konnte auch nicht an all die Mandanten denken, die mit einem ansehnlichen Scheck rechneten, und zwar sehr bald. Angst, sein Gesicht zu verlieren, hatte er eigendich nicht – er war geradezu unanständig reich und hatte sich mit dem Geld ein dickes Fell zugelegt.
Nein, Alisandros’ Gedanken drehten sich in erster Linie um das nächste Medikament – das nach Krayoxx.
Der dritte Schlag und damit das endgültige Aus kam mit der für fünfzehn Uhr angesetzten Telefonkonferenz mit einem anderen Mitglied des Prozessausschusses. Rodney Berman war ein schillernder Prozessanwalt aus New Orleans, der im Spiel mit den Geschworenengerichten bereits mehrfach ein Vermögen gewonnen und wieder verloren hatte. Dank einer Ölpest im Golf von Mexiko schwamm er gegenwärtig in Geld und hatte noch mehr Krayoxx-Mandanten an Land gezogen als Zell & Potter.
»Wir stecken in der Scheiße«, sagte er zur Begrüßung.
»Der Tag hat schon schlecht angefangen. Tun Sie sich also keinen Zwang an.«
»Insiderinformationen aus einer extrem vertraulichen und, wenn ich das ergänzen darf, sehr gut bezahlten Quelle, die einen vorläufigen Bericht zu Gesicht bekommen hat, der nächsten Monat im New England Journal of Medicine veröffentlicht werden soll. Wissenschaftler von Harvard und der Cleveland Clinic erklären darin, unser geliebtes Krayoxx sei so gesund wie Weizenkeime und völlig unschädlich. Kein erhöhtes Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko. Keine Schädigung der Mitralklappe. Nichts. Und diese Leute haben einen Lebenslauf, der unsere Ärzte aussehen lässt wie Quacksalber. Meine Sachverständigen rennen wie die Hasen. Meine Anwälte verkriechen sich unter ihren Schreibtischen. Einer unserer Lobbyisten meint, die FDA will das Medikament wieder zulassen. Varrick verteilt überall in Washington Geld. Was wollen Sie noch hören?«
»Das reicht vollkommen. Jetzt brauche ich jemanden, der mir eine Brücke baut.«
»Von meinem Büro aus kann ich eine sehen.« Berman brachte irgendwie ein Lachen zustande. »Sieht toll aus, reicht über den Mississippi und wartet nur auf mich. Die Rodney-Berman-Gedächtnisbrücke. Irgendwann werden sie mich mit Rohöl überzogen aus dem Golf von Mexiko fischen.«
Vier Stunden später hatte Alisandros von seinem Büro aus alle sechs Mitglieder des Prozessausschusses zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Nachdem er die unglückseligen Entwicklungen des Tages zusammengefasst hatte, schilderte Berman seine Version. Einer nach dem anderen meldete sich zu Wort, und keiner hatte Positives zu berichten. Der Prozess brach auf breiter Front zusammen, eine Theorie nach der anderen, von der Ostküste bis zur Westküste. Es wurde lange darüber diskutiert, wie viel Varrick im Augenblick wusste. Der allgemeine Eindruck war, dass sie, die Anwälte, dem Unternehmen weit voraus waren. Doch das konnte sich schnell ändern.
Sie vereinbarten, das Screening sofort einzustellen.
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