Verteidigung
dies sei nicht ungewöhnlich und dürfe ihre Meinung in keiner Weise beeinflussen.
Das Licht wurde gedimmt, und dann blinzelte eine überlebensgroße, benebelte Iris völlig verwirrt in die Kamera wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Die Aussage war gründlich bearbeitet worden, um strittige Stellen und die Streitereien zwischen den Anwälten zu entfernen. Nachdem sie ihre persönlichen Daten angegeben hatte, kam Iris auf Percy zu sprechen. Seine Rolle als Vater, seine berufliche Laufbahn, seine Gewohnheiten, seinen Tod. Beweismittel wurden vorgelegt und auf den Bildschirmen gezeigt: ein Foto von Iris und Percy, beide bereits krankhaft fettleibig, wie sie mit dem kleinen Clint im Wasser planschten, ein Foto von Percy mit Freunden am Grill, wo er zur Feier des 4. Juli Burger und Bratwürste brutzelte, noch ein Foto von ihm, in einem Schaukelstuhl mit der orangefarbenen Katze auf dem Schoss – offenbar war Schaukeln seine einzige sportliche Aktivität gewesen. Ein Foto folgte auf das andere, und bald kristallisierte sich ein Gesamtbild heraus, das ebenso zutreffend wie abstoßend war. Percy war ein extrem übergewichtiger Mann gewesen, der zu viel aß, jede körperliche Anstrengung scheute, sich nicht pflegte und aus offensichtlichen Gründen zu früh starb. Manchmal wurde Iris von ihren Gefühlen überwältigt. Manchmal war sie praktisch unverständlich. Das Video weckte wenig Sympathie. Aber es war, wie ihr Anwaltsteam nur allzu gut wusste, sehr viel besser als Iris in Person. Die bearbeitete Fassung lief siebenundachtzig Minuten, und der ganze Saal war erleichtert, als es vorbei war.
Als das Licht wieder anging, erklärte Richter Seawright, es sei Zeit für die Mittagspause, die Sitzung werde um vierzehn Uhr fortgesetzt. Wally verschwand wortlos in der Menge. Eigentlich hatten er und David im Gerichtsgebäude schnell ein Sandwich essen und ihre Strategie besprechen wollen, aber David gab die Suche nach fünfzehn Minuten auf und setzte sich allein in das Café im ersten Stock.
Oscar war aus dem Krankenhaus entlassen worden und erholte sich in Wallys Wohnung. Rochelle sah zweimal am Tag nach ihm – Ehefrau und Tochter hatten sich immer noch nicht blicken lassen. David rief ihn kurz an, um ihn auf dem Laufenden zu halten, wobei er sich bemühte, die Dinge in einem möglichst positiven Licht darzustellen. Oscar gab sich interessiert, aber es war deutlich zu merken, dass er froh war, aus dem Schneider zu sein.
Um vierzehn Uhr kehrte im Sitzungssaal wieder Ruhe ein. Es würde ein Gemetzel werden, aber Wally wirkte bemerkenswert entspannt.
»Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf«, sagte der Richter, und Wally griff nach seinem Block.
»Das wird hässlich«, flüsterte er, und David stieg der unverkennbare Geruch einer frischen Bierfahne in die Nase.
Dr. Igor Borsow wurde in den Zeugenstand geführt, wo ihn der Gerichtsdiener auf die Bibel schwören lassen wollte. Beim Anblick der Bibel begann Borsow, den Kopf zu schütteln. Er weigerte sich, sie auch nur anzufassen. Auf Richter Seawrights Nachfrage erklärte Borsow, er sei Atheist.
»Keine Bibel«, erklärte er. »Glaub nicht dran.«
David war entsetzt. Für fünfundsiebzigtausend Dollar konnte der Quacksalber zumindest so tun, als ob. Nach einer unbehaglichen Pause wies der Richter den Gerichtsdiener an, die Bibel zu entfernen. Borsow hob die rechte Hand und schwor, die Wahrheit zu sagen, aber da hatte er bei den Geschworenen bereits verspielt.
Anhand eines genau ausgearbeiteten Drehbuchs befragte Wally ihn zu seiner Qualifikation als Sachverständiger. Studium – an der medizinischen Fakultät in Moskau. Ausbildung – Facharztausbildung als Kardiologe in Kiew, verschiedene Krankenhäuser in Moskau. Erfahrung – eine kurze Episode als Arzt an einem kommunalen Krankenhaus in Fargo, North Dakota, und eine private Praxis in Toronto und Nashville. Am Vorabend hatten Wally und David stundenlang mit ihm geübt, und sie hatten ihn angefleht, so langsam und deutlich wie möglich zu sprechen. In der Abgeschiedenheit ihrer Kanzlei war Borsow halbwegs verständlich. Im Rampenlicht und in der angespannten Atmosphäre der Verhandlung war jedoch alles vergessen, und Borsow sprudelte seine Antworten mit einem Akzent hervor, der noch nicht einmal wie Englisch klang. Zweimal bat die Gerichtsstenografin um eine Pause, weil sie nachfragen musste.
Gerichtsstenografen verstehen sich meisterhaft darauf, gemurmelte Worte, Sprachfehler, Akzente, Slang und Fachjargon zu
Weitere Kostenlose Bücher