Verteidigung
Angehörige da. Der arme Kerl war so beliebt wie noch nie.«
»Freut mich für ihn.« Wally war bei dem Gottesdienst dabei gewesen. Finley & Figg hatte das Mandat nicht bekommen. »Danke«, sagte er im Gehen. Er lief an dem ersten Aufbahrungsraum vorbei – geschlossener Sarg, keine Trauernden. Dann betrat er den zweiten, der schwach beleuchtet war. Sechs auf sechs Meter, ein Sarg an einer Wand und einige Reihen billiger Stühle. Erleichtert stellte Wally fest, dass der Sargdeckel geschlossen war. Er legte die Hand auf den Sarg, als müsste er Tränen zurückhalten. Nur er und Chester, in einem letzten Moment der Zweisamkeit.
In der Regel drückte sich Wally immer ein paar Minuten vor dem Sarg herum, in der Hoffnung, dass ein Angehöriger oder ein Freund auftauchte. Falls nicht, würde er sich in das Kondolenzbuch eintragen und Grayber seine Visitenkarte geben, mit der Anweisung, der Familie auszurichten, dass Mr. Marinos Anwalt da gewesen sei. Die Kanzlei würde Blumen zur Beerdigung schicken und einen Brief an die Witwe schreiben, und in einigen Tagen würde Wally die Frau anrufen und so tun, als wäre sie aus irgendeinem Grund verpflichtet, die Kanzlei Finley & Figg, die ja schon das Testament aufgesetzt hatte, mit der Nachlassabwicklung zu beauftragen. Das funktionierte in etwa der Hälfte der Fälle.
Wally wollte gerade gehen, als ein junger Mann eintrat. Er war um die dreißig, gut aussehend und trug Jackett und Krawatte. Er musterte Wally mit skeptischem Blick, was bei den meisten Menschen anfänglich der Fall war. Wally hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Wenn sich zwei wildfremde Menschen in einem leeren Aufbahrungsraum an einem Sarg begegnen, sind die ersten Worte immer etwas unbeholfen. Schließlich nannte Wally seinen Namen, und der junge Mann sagte: »So, ja … Das da ist mein Vater. Ich bin Lyle Marino.«
Ah, der künftige Besitzer der schönen Baseballkartensammlung – was Wally allerdings nicht erwähnen konnte. »Ihr Vater war einer meiner Mandanten. Wir haben sein Testament aufgesetzt. Mein Beileid.«
»Danke«, sagte Lyle, der erleichtert schien. »Ich kann das einfach nicht glauben. Letzten Samstag waren wir zusammen beim Spiel der Blackhawks. Es war großartig. Und jetzt ist er nicht mehr da.«
»Tut mir wirklich sehr leid. Dann kam sein Tod also ganz plötzlich?«
»Herzanfall.« Lyle schnippte mit den Fingern. »Einfach so. Montagmorgen, bei der Arbeit. Er saß an seinem Schreibtisch und fing plötzlich an, zu schwitzen und nach Luft zu schnappen. Und dann ist er zu Boden gefallen. Tot.«
»Tut mir leid, Lyle«, sagte Wally, als würde er den jungen Mann seit Ewigkeiten kennen.
Lyle fuhr mit der Hand über den Sargdeckel. »Ich kann das einfach nicht glauben.«
Wally musste noch ein paar Lücken füllen. »Ihre Eltern haben sich vor etwa zehn Jahren scheiden lassen, richtig?«
»Ja, das ist ungefähr so lange her.«
»Lebt Ihre Mutter noch hier?«
»Ja.« Lyle wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen.
»Und Ihre Stiefmutter? Verstehen Sie sich gut mit ihr?«
»Nein. Wir reden kein Wort miteinander. Die Scheidung war sehr hässlich.«
Wally unterdrückte ein Lächeln. Eine zerstrittene Familie würde seine Honorare in die Höhe treiben. »Es tut mir leid, aber ich habe ihren Namen vergessen …«
»Millie.«
»Ach, ja. Hören Sie, Lyle, ich muss leider gehen. Hier ist meine Karte.« Wally zog eine Visitenkarte aus der Tasche und gab sie dem jungen Mann. »Chester war ein großartiger Mensch. Rufen Sie uns an, wenn wir irgendetwas für Sie tun können.«
Lyle nahm die Karte und steckte sie in die Hosentasche. Dann starrte er mit leerem Blick auf den Sarg. »Entschuldigen Sie, aber wie heißen Sie noch mal?«
»Figg. Wally Figg.«
»Sie sind Anwalt?«
»Ja. Finley & Figg, eine kleine Boutiquekanzlei mit sehr viel Erfahrung bei Gericht.«
»Und Sie kannten meinen Vater?«
»Oh, ja, sehr gut sogar. Er sammelte mit Begeisterung Baseballkarten.«
Lyle nahm die Hand vom Sarg und sah Wally in die Augen. »Mr. Figg, wissen Sie, was meinen Vater umgebracht hat?«
»Sie sagten, es sei ein Herzanfall gewesen.«
»Richtig. Und wissen Sie, was den Herzanfall verursacht hat?«
»Nein.«
Lyle warf einen Blick zur Tür, um sich zu vergewissern, dass niemand mittlerweile eingetreten war. Dann sah er sich im Raum um, als hielte er nach Zuhörern Ausschau. Schließlich kam er einen Schritt näher, sodass seine Schuhe die Wallys fast berührten, der inzwischen
Weitere Kostenlose Bücher