Verteidigung
wurde es Rochelle zu viel, und David musste aushelfen. Einige Anrufer waren Reporter, andere Anwälte, die Informationen wollten, doch bei den meisten handelte es sich um Leute, die Krayoxx nahmen und jetzt verwirrt und verängstigt waren. David wusste nicht, was er sagen sollte. Die Strategie der Kanzlei - falls man es überhaupt so bezeichnen konnte - bestand darin, eine Vorauswahl zu treffen und zunächst die Todesfälle zu übernehmen, dann zu einem späteren, noch nicht definierten Zeitpunkt die Fälle ohne Todesfolge zu bündeln und zu einer Sammelklage zusammenzufassen. Es war unmöglich, so etwas am Telefon zu erklären, auch deshalb, weil David es selbst nicht ganz verstand.
Als die Telefone immer öfter klingelten und die Aufregung wuchs, kam sogar Oscar aus seinem Büro und bekundete Interesse. In seiner kleinen Kanzlei war es noch nie so hektisch zugegangen, und vielleicht war das ja tatsächlich der Durchbruch. Vielleicht hatte Wally endlich einmal recht gehabt. Vielleicht, aber nur vielleicht, würden sie jetzt Geld verdienen, und das bedeutete, dass er sich endlich scheiden lassen und unmittelbar danach in den Ruhestand gehen konnte.
Am späten Nachmittag setzten sich die drei Anwälte und Rochelle zusammen an den Tisch, um ihre Notizen zu vergleichen. Wally war völlig aufgedreht und schwitzte sogar. Er fuchtelte mit seinem Notizblock herum. »Ich habe vier Todesfälle, alle brandneu, und wir müssen uns sofort die Mandate sichern. Oscar, machst du mit?«
»Sicher, ich nehme einen«, erwiderte Oscar und versuchte, so zögerlich wie immer zu wirken.
»Danke. Ms. Gibson, in der Nineteenth Street wohnt eine Schwarze, gar nicht weit von Ihnen, Bassitt Towers, Nummer drei. Sie sagt, es sei dort sicher.«
»In die Bassitt Towers gehe ich nicht«, erwiderte Rochelle. »Die Schießereien dort kann ich von meiner Wohnung aus fast hören.«
»Aber genau darum geht es doch. Sie wohnt in der gleichen Straße wie Sie. Sie könnten auf dem Weg nach Hause bei ihr vorbeigehen.«
»Das werde ich nicht tun.«
Wally knallte den Notizblock auf den Tisch. »Verdammt noch mal. Begreifen Sie eigentlich, was hier passiert? Diese Leute flehen uns an, ihre Fälle zu übernehmen, Fälle, die Millionen Dollar wert sind. Innerhalb eines Jahres könnte eine Menge Geld fließen. Wir sind an etwas ganz Großem dran, aber Ihnen ist das wie immer egal.«
»Ich riskiere doch nicht Kopf und Kragen für die Kanzlei.«
»Na großartig. Sie wollen also auf Ihren Anteil am Bonus verzichten, wenn der Vergleich mit Varrick durch ist und das Geld fließt? Habe ich das richtig verstanden?«
»Was für einen Bonus?«
Wally marschierte zur Haustür, drehte um, kam wieder an den Tisch. »Ms. Gibson, Ihr Gedächtnis scheint nicht gerade das beste zu sein. Können Sie sich an den Fall Shermann vom letzten Jahr erinnern? Der Auffahrunfall? Die Versicherungsgesellschaft hat sechzigtausend gezahlt. Davon haben wir ein Drittel bekommen, das waren zwanzigtausend für Finley & Figg. Wir haben ein paar Rechnungen bezahlt. Ich habe sieben Riesen bekommen, Oscar ebenfalls, und Ihnen haben wir tausend Dollar in bar unter dem Tisch zukommen lassen. Stimmt’s, Oscar?«
»Ja, und das war nicht das erste Mal«, sagte Oscar.
Rochelle fing schon zu rechnen an, während Wally noch redete. Es wäre eine Schande, wenn sie auf ein Stück vom Kuchen verzichten müsste. Was, wenn Wally zur Abwechslung mal recht hatte? Er sagte nichts mehr, und für einen Moment herrschte gespanntes Schweigen. Plötzlich stand AJ auf und begann zu knurren. Sekunden verstrichen, dann hörten sie Sirenen in einiger Entfernung. Das Geräusch kam näher, doch seltsamerweise ging niemand ans Fenster oder vor die Haustür.
Hatten sie bereits das Interesse an ihrem Hauptgeschäft verloren? Waren Verkehrsunfälle für die kleine Boutiquekanzlei plötzlich nicht mehr gut genug? Hatten sie sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zugewandt?
»Wie hoch wird der Bonus sein?«
»Ms. Gibson, ich bitte Sie«, sagte Wally genervt. »Ich habe keine Ahnung.«
»Was soll ich dieser armen Frau sagen?«
Wally griff zu seinem Notizblock. »Ich habe vor einer Stunde mit ihr gesprochen. Pauline Sutton, zweiundsechzig Jahre alt. Ihr vierzig Jahre alter Sohn Jermaine ist vor sieben Monaten an einem Herzanfall gestorben. Sie sagte, er sei ein wenig übergewichtig gewesen, habe vier Jahre lang Krayoxx genommen, um seinen Cholesterinspiegel zu senken. Eine nette Frau, aber auch eine trauernde
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