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Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Titel: Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Jötten
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natürlichen und assistierten Fortpflanzung – bei Mann und Frau.

JENS LUBBADEH

Tumorangst beim Augenarzt
    Wie ich eine Horrorsitzung beim Augenarzt durchlebte.
    Medizinstudenten müssen pauken, bis das Hirn raucht. Darunter unzählige exotische Leiden. Diese sind der Traum aller jungen Ärzte, denn sie ahnen: Ihr Alltag wird einmal weitaus unexotischer sein. Entweder müssen sie im Krankenhaus rackern oder 40 Jahre lang Grippe und Verstopfungen therapieren. Bei Ärzten, die sich nur mit Augen beschäftigen, muss das Ganze noch ein Stück langweiliger sein. Sie dürsten nach ungewöhnlichen Krankheiten, wie ich vor einigen Jahren feststellen musste, als ich eine neue Brille brauchte. Ich verließ die Praxis des Augenarztes in Todesangst.
    Aber der Reihe nach. Nach drei Stunden Warten wurde ich vom Meister abgefertigt wie Vieh. Er war das Musterbeispiel des arroganten Mediziners, der lieber an der Uni doziert hätte, als sich mit durchschnittlichen Kurzsichtigen wie mir zu langweilen. Erst als ich in den Apparat blicken musste, mit dem er meine Netzhaut abcheckte, weckte ich plötzlich sein Interesse.
    «Ach, das ist ja ein Ding», murmelte er vor sich hin. «Wirklich interessant.»
    Er drehte an dem Apparat, während sich in meinem Hals langsam ein Kloß formte. Was hatte er auf meiner Netzhaut gefunden, das so «interessant» war? Eine «nette» Krankheit vielleicht?
    «Zimmermann, kommen Sie mal her!», rief er ins Nachbarzimmer. Ein junger Weißkittel trat ein. «Schauen Sie mal», sagte der Doc, und Zimmermann blickte in den Apparat. «Sie müssen genau hinsehen, ist kaum zu erkennen.» Der junge Arzt schaute lange, während ich immer noch wie ein Versuchskarnickel in den Apparat eingespannt war.
    «Anisokorie?»
    «Sehr gut, Zimmermann. Holen Sie mal die anderen, damit die sich das auch ansehen.»
    Ach so, Anisokorie.
    Der Augenarzt hatte sich wieder an den Apparat gesetzt. «Sie haben eine Anisokorie», sagte er. «Ist kaum zu sehen. Sehr selten.»
    Bei dem Wort «selten» wurde der Kloß in meinem Hals zu einem Fußball. Erwähnte ich schon, dass zu meinen Top-Horrorvorstellungen Ärzte mit Skalpellen gehören, die sich meinen Augäpfeln nähern?
    «Was ist Anisokorie?», fragte ich den Meister der empathischen Patientenkommunikation.
    «Ungleiche Pupillenweite», nuschelte er unwillig. Derlei unqualifizierte Fragen hatten ihn sicherlich schon an der Uni kolossal genervt.
    In der Zwischenzeit hatte Zimmermann zwei weitere Ärzte der Gemeinschaftspraxis herbeigeholt. «Schauen Sie sich das mal an», sagte der Doc, stand auf und ließ alle in meine Augen blicken. Währenddessen holte er ein Lehrbuch aus seinem Regal und schlug es auf. Zwei Schwarzweißfotos von einem Augenpaar in Großaufnahme waren zu sehen. Auf dem ersten Bild waren die Pupillen geweitet und gleich groß. Das zweite zeigte die gleichen Augen mit zusammengezogenen kleinen Pupillen, offenbar nach einem Lichteinfall. Die linke Pupille war größer als die rechte. Das sollte bei mir auch so sein? War mir nie aufgefallen. «Sehen Sie hier», sein Zeigefinger tippte auf das zweite Foto. «Wie im Lehrbuch.»
    Ich nahm noch einmal meinen Mut zusammen: «Könnten Sie mir bitte sagen, ob das schlimm ist?»
    «Anisokorie an sich ist nicht schlimm», antwortete er, während er nicht mich, sondern seine Jungärzte ansah. «Sie haben auch nur eine sehr leichte.» Er machte eine Pause. «Sie deutet aber oft auf etwas Ernstes hin.»
    Jetzt hatte ich einen Medizinball im Hals.
    «Auf etwas Ernstes? Auf was denn?» Ich hatte Angst. Zugleich stieg Wut in mir auf. Wut auf diesen unmenschlichen Mediziner.
    «Ach, das kann alles Mögliche anzeigen», sagte er. «Eine Nervenstörung zum Beispiel. Oder einen Hirntumor …»
    Ich glaubte, mich verhört zu haben.
    «Es kann natürlich auch einfach angeboren sein.» Er stand auf, die Vorlesung war zu Ende. «Machen Sie sich keine Sorgen.» Er schüttelte mir kurz die Hand. «Wiedersehen.»
    In dieser Nacht schlief ich nicht. Am nächsten Morgen telefonierte ich zehn Neurologen ab und fand einen mit Akutsprechstunde. Er vermittelte mir umgehend ein Hirn- CT .
    Einen Tag später hielt ich die Aufnahme meines Gehirns und den Befund des Neurologen in den Händen: kein Hirntumor, keine Nervenstörung. Alles in Ordnung. Ich hatte einfach zwei Augen, deren Pupillen sich unterschiedlich weiteten.
    In all den Jahren, die seit diesem Erlebnis vergangen sind, hätte ich die Menschheit gerne vor dieser Blindschleiche von

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