Vertrau deinem Herzen
gerade das Geschirr vom Mittagessen wegräumten. Aaron rannte nach draußen, bevor sie ihm noch weitere Aufgaben zuteilen konnte.
„Wer war das?“, wollte Callie wissen.
Kate antwortete nicht gleich. Sie holte ihren Laptop an den Küchentisch und reichte Callie dann das Paket.
„Oh.“ Callie klang nervös, fhre Hand zitterte ein wenig, als sie den Umschlag öffnete und eine glänzende CD herausholte.
Kate vergaß beinahe zu atmen, während sie die CD in ihren Laptop steckte und öffnete.
„Das wird bestimmt ganz schrecklich, ich weiß es“, murmelte Callie.
Kate sagte nichts. Sie wusste, wie zerbrechlich Callie war, und hoffte, dass die Fotos ihr nicht noch mehr wehtun würden – aber sie wusste auch, dass die Gefahr bestand. In ihren Jahren bei der Zeitung hatte sie eine Menge schlechter, unvorteilhafter Fotos gesehen. Aber das hier ist die Vanity Fair, sagte sie sich. Das Magazin arbeitete nur mit den besten Fotografen.
Das erste Bild erschien auf dem Monitor, und Kate stieß langsam die angehaltene Luft aus. Dann warf sie Callie einen Blick zu, die wie gebannt auf das Foto schaute.
Als sie durch die Fotos blätterten, wurde es Kate warm ums Herz. Die Bilder hatten eine beinahe lyrische Qualität! Wie sie die Fülle der Landschaft in all ihrer majestätischen Pracht einfingen! Im goldenen Licht der Sonne wirkte der Hintergrund wie ein Gemälde. Doch so faszinierend der See und die Berge auch waren: Der Star der Fotos war Callie. Die Linse des talentierten Fotografen hatte eingefangen, wie hart und zäh, aber auch wie verletzlich sie war. Sie wurde mit einer schlichten Ehrlichkeit abgebildet, die zu ihr passte.
„Ich glaube, das hier ist mein Lieblingsbild“, sagte Kate und zeigte auf ein Foto, auf dem Callie leicht nach oben in die Linse schaute. Das Bild fing ihre Intelligenz ein und ihre Traurigkeit, und doch deutete das leichte Kräuseln ihrer Lippen ihren unbeugsamen Sinn für Humor an.
Kate verspürte den Drang, zu JD hinüberzulaufen und ihm wie eine stolze Mutter die Bilder zu zeigen. Aber natürlich unterdrückte sie den Impuls. JD würde die Bilder hassen, egal wie schön sie waren. Sein kompromissloses Missfallen stand kalt und unbeweglich zwischen ihnen. Lächerlich!
Und dennoch führte es dazu, dass sie sich selber infrage stellte. Drang sie nur in Callies Privatsphäre ein, um davon zu profitieren? Oder würde das Leben des Mädchens die Leser berühren?
„Ich bin so aufgeregt!“ Callie scrollte noch einmal durch die Bilder. „Die sind viel besser, als ich je zu hoffen gewagt hatte.“
„Du bist wunderschön“, lächelte Kate. „Die Bilder werden dir wirklich gerecht.“ Aus einem Impuls heraus berührte sie die Hand des Mädchens, und zum ersten Mal zuckte Callie nicht zurück. „Ich bin so froh, dass du langsam wieder gesund wirst.“
„Ja, das rufe ich mir auch jedes Mal ins Gedächtnis, wenn du dich wegen meiner Diät und des Sports wie ein Tyrann aufführst.“
„Ein Tyrann?“
„Na ja, du kommandierst mich schon ganz schön herum. Aber das ist in Ordnung.“
„Das ist wohl meine Art, Elternteil zu sein.“ Kate fragte sich, ob Callie bemerkt hatte, was ihr da herausgerutscht war. Falls ja, so sagte sie zumindest nichts.
Sie bestaunten noch eine Weile die Bilder, dann zogen sie sich für ihren nachmittäglichen Spaziergang um. Heute war die vier Meilen lange Strecke zum Ende der Straße und zurück bis East Beach dran. Auch wenn Aaron sich beschwerte, weil er nicht mit dem Fahrrad fahren durfte, nahm er Bandit gut gelaunt an die Leine und ging voran. Am Ende des Weges legten sie am Strand eine kleine Pause ein. Callie und Kate machten es sich nebeneinander auf einer Picknickbank bequem und tranken Wasser. Aaron konnte nicht ruhig sitzen bleiben und ging ans Wasser, um für seine Autos Tunnel und Gräben in den Sand zu buddeln.
„Er ist wirklich ein tolles Kind“, sagte Callie nach einer Weile.
Kate sah sie überrascht an und lächelte dann. „Das finde ich auch.“
„Er weiß sich immer zu beschäftigen. Die Kinder in den Pflegefamilien haben den ganzen Tag nur vor dem Fernseher gesessen.“
„Das ist einer der Gründe, wieso ich keinen Fernseher mehr habe, seit Aaron drei ist. Eines Tages stimmte er das Lied aus der Waschmittelwerbung an, als wir im Supermarkt waren, und da dachte ich, dass irgendwas nicht richtig läuft. Ich habe den Fernseher noch am gleichen Tag entsorgt, und jetzt leihe ich mir nur alle vier Jahre einen, um die Olympischen Spiele
Weitere Kostenlose Bücher