Vertrau deinem Herzen
aufgezogen – ein Detail, bei dem Callie ein skeptisches Grunzen von sich gab –, hatte er eine mehr als ansehnliche Karriere bei der dienstältesten Spezialeinheit der Army, den Special Forces, hingelegt. Und er hatte etwas, was den Unterschied zwischen Erfolg und Fehlschlag bedeutete: die Fähigkeit, Leben zu retten.
Über Nacht hatten die Medien ihn zum amerikanischen Helden stilisiert. Begabt, stark, klug, aufopferungsvoll und bescheiden. Und darüber hinaus auch noch zur rechten Zeit am rechten Ort. Im ganzen Land beteten die Menschen für die Genesung von Sergeant Harris. Manche glaubten bis zum heutigen Tag, dass die Macht ihrer Gebete ihn gerettet hatte, ihn befähigt hatte, aus dem Koma zu erwachen und das Krankenhausbett zu verlassen. Andere schrieben dieses Wunder den beispiellosen Anstrengungen eines unermüdlichen Ärzteteams zu.
„Wenn Sie sich auf einen Selbstmordattentäter werfen wollen“, hatte der Sprecher des Krankenhauses in einem Interview gesagt, „dann könnten Sie sich dafür keinen besseren Ort aussuchen als das Walter Reed Army Medical Center.“
„Wo kommen all diese Leute her?“, wunderte sich Kate.
„Lies weiter“, drängte Callie. Während Harris im Koma lag, hielt die Nation Wache. Kirchen und Tempel im ganzen Land boten Worte der Unterstützung und Ermutigung. Gelbe „Gott schütze Jordan Donovan “-Schleifen mischten sich unter die traditionelle Weihnachts- und Silvesterdekoration. Kate erinnerte sich noch gut daran, wie sie damals einen Leitartikel in der Zeitung gelesen und tiefe Dankbarkeit verspürt hatte, dass es auf der Welt Männer wie Jordan Donovan Harris gab.
Sie war immer noch dankbar. Privilegiert sogar – immerhin hatte sie ihn kennenlernen dürfen. Doch gleichzeitig verspürte sie auch eine tiefe Traurigkeit. Denn genau die Tatsache, dass er ein Held war, war zu dem Keil geworden, der sie auseinanderbrachte.
„Es ist seltsam, das alles zu sehen, oder?“, sagte Callie. „Es geht um ihn, aber er ist es nicht.“
„Die Presse vermittelt nur einen Eindruck von einer Person – nicht die Person selber.“ Kate wurde in diesem Moment klar, dass es egal war, was sie über Callie geschrieben hatte. Die Leser würden dieses Mädchen niemals kennen, nicht wirklich. Vielleicht war es das, was JD versucht hatte, ihr mitzuteilen.
„Ich bin müde.“ Callie gähnte. „Ich geh ins Bett. Du solltest noch ein bisschen weiterstöbern. Lies, was mit seiner Mutter passiert ist. Vielleicht verstehst du dann, wieso er nicht wollte, dass jemand erfährt, wer er wirklich ist.“
Callie ging ins Bett, aber Kate war immer noch ruhelos. Es gab eine scheinbar unendliche Anzahl an Artikeln über JD. Eifersucht brannte in ihr, als sie las, dass er eine Freundin namens Tina gehabt hatte, eine Mitarbeiterin des Kongresses, die alles über ihn enthüllte hatte: von seiner Vorliebe für Krebse bis zu seinen sexuellen Vorlieben. Ihr Selbsthilfe-Ratgeber wurde ein Bestseller. Hoffentlich hat er dich schnell und hart fallen lassen, dachte Kate.
Sie erfuhr auch alles über seine albtraumhafte Kindheit, die Callie ja schon angerissen hatte – und über seine Mutter, die ihrer Rolle nicht einmal ansatzweise gerecht geworden war. Janet Harris hatte den Ruhm ihres Sohnes mit offenen Armen empfangen, aber dann war er ihr zum Verhängnis geworden. Sie verfiel in ihre alten Gewohnheiten. Mehr als einer Quelle zufolge hielt sie sich in einer Entzugsklinik in Südkalifornien auf.
In diesem Moment ging eine neue E-Mail ein. Die Nachricht war von einem unbekannten Absender, doch als sie das Foto sah, erinnerte sie sich. Es fühlte sich an, als ob es ein ganzes Leben her wäre: JD und sie, wie ein ganz normales Pärchen auf der Fähre. Jetzt, wo sie verstand, was er hatte verbergen wollen, bemerkte sie die Anspannung in seinem Gesicht. Er musste sich schrecklich unwohl vor der Kamera gefühlt haben.
„Es war eine Ehre, Sie und Jordan zu treffen“, schrieb die Frau.
Stimmt, dachte Kate, das war es.
Sie hatte sich immer eingebildet, ganz genau zu wissen, wie sich Einsamkeit anfühlt. Doch das war, bevor sie JD kennengelernt hatte. Und jetzt wurde ihr klar: Sie hatte keine Ahnung gehabt.
35. KAPITEL
U m Viertel vor sechs schreckte das Telefon Kate aus dem Schlaf. Nach der Ruhe am See fiel sie beinahe aus dem Bett, bevor sie nach dem Hörer griff und einem perfekten Traum Lebewohl sagte.
„Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe“, sagte ihre Schwägerin Barbara, die an der
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