Vertrau mir
Angehörigen. Und noch schlimmer für die Männer selbst. Aber war das ihr Bier? Im Grunde genommen ging sie das alles nichts an. Warum ließ sie sich trotzdem da hineinziehen?
Die Antwort auf diese Frage machte Anna wirklich zu schaffen. Denn sie musste sich eingestehen, dass es ganz allein Maike Roloff war, die sie in dieser Sache interessierte. Wie war das möglich? Es war gerade vierundzwanzig Stunden her, dass sie sich kennenlernten. Und die Frau entsprach nicht dem, was man herkömmlich als nett bezeichnete. Im Gegenteil. Maike war ziemlich belastend und zudem ignorant. Du würdest gut daran tun, dich nicht weiter um sie zu kümmern. Und apropos Kümmern: Statt sich den Kopf über Maike zu zerbrechen, sollte sie lieber sehen, dass sie etwas Nützliches tat. Es stand nach wie vor schlecht um ihre Finanzen. Sie brauchte immer noch einen Nebenjob. Also fuhr Anna zum Kiosk, holte die Tageszeitung. Im Anzeigenteil fand sie, abgesehen von den unseriösen Angeboten, mit Heimarbeit in kurzer Zeit ein Vermögen zu verdienen, nicht viel. Moment. Da war doch was: Taxizentrale sucht Telefonistin, nachmittags, vier Stunden täglich. Anna schaute auf die Uhr. Halb elf. Sicher war der Job schon vergeben. An eine zeitigere Anruferin. Doch wenn sie persönlich vorsprach, konnte sie vielleicht etwas erreichen. Anna entschloss sich, in die Stadt zu fahren.
»Wir haben eigentlich schon jemanden«, sagte der junge Mann, der sich Anna als Christoph Krämer und Büroleiter vorstellte. »Doch wenn Sie bereit sind, jetzt sofort eine Probeschicht zu machen . . . Mir ist da noch jemand ausgefallen.«
»Aber ja, kein Problem.« Glück musste man haben.
»Wenn es gut läuft, können Sie als Aushilfe anfangen. Fällt ja immer mal einer aus. Sie wissen schon: Urlaub, Krankheit. Können Sie mit dem PC umgehen?«
»Im Schlaf.«
»Gut. Wir brauchen auch noch jemanden, der gelegentlich ein paar einfache Arbeiten am Computer macht. Daten erfassen, kleine Statistiken. Trauen Sie sich das zu?«
»Das wird mich unterfordern. Aber damit kann ich leben.«
»Sie sind gut.« Krämer grinste. »Okay Sie haben einen Job. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an Frau Schicht.« Er winkte einer Frau zu, die gerade telefonierte. Sie winkte zurück. »Das ist sie. Frau Schicht ist hier für den reibungslosen Ablauf zuständig. Sie sagt Ihnen, was Sie zu tun haben. Alles klar?«
»Ja.«
Frau Schicht legte auf. Krämer ging zu ihr. Anna folgte ihm. »Das ist Anna Ravensburg«, stellte er sie seiner Mitarbeiterin vor. »Sie soll heute Gabis Platz besetzen. Anna ist nach ihren eigenen Aussagen ein Computergenie. Genau, was du brauchst. Sie kann dir ein paar Arbeiten abnehmen.«
»Willkommen.« Frau Schicht lächelte, wirkte aber deutlich gestresst.
»Du zeigst Anna dann alles?« fragte Krämer.
Ehe sie antworten konnte, war er verschwunden. Ein Seufzen erreichte Annas Ohr. »Na, dann kommen Sie mal mit.« Sie führte Anna zu einem Schreibtisch. »Das hier ist heute Ihr Platz. Morgen sehen wir weiter. Ich zeige Ihnen schnell unser Koordinierungsprogramm. Es ist ganz einfach. Hier. Sehen Sie.« Sie deutete auf den Bildschirm und erklärte Anna im Eiltempo die notwendigsten Dinge. Nach etwa zehn Minuten traute die sich zu, das Programm zu bedienen. Es war wirklich nicht kompliziert. Anna wurde sich selbst überlassen.
Ihre Probeschicht endete um fünf. Offensichtlich war man mit ihrer Arbeit zufrieden, denn sie sollte am nächsten Tag um eins wiederkommen. Das passte Anna hervorragend. Sie konnte den Vormittag nutzen, das Stallgebäude umzubauen, von eins bis fünf in der Taxizentrale arbeiten und war zur Fütterung der Tiere am Abend rechtzeitig wieder zu Hause.
Auf dem Heimweg entschloss Anna sich spontan, bei Greta vorbeizufahren. Greta kannte sie aus ihrer Zeit im Gefängnis. Es stimmt übrigens, was man von den Insassen dieser Institution sagt. Die meisten behaupten, unschuldig zu sein. Greta war da anders. Sie gab ihre Tat zu, aber eine Schuld konnte sie nicht darin sehen. Greta hatte ihrer langjährigen Lebensgefährtin Sterbehilfe geleistet. Die Freundin litt an einer besonders schnell fortschreitenden Art des Knochenschwundes, welcher die einst so aktive Bergsteigerin in ein an das Bett gefesseltes, bewegungsloses Wrack verwandelte, dessen Schmerzen am Ende nur noch mit Morphin zu lindern waren. In ihren klaren Momenten bat sie Greta immer wieder, ihr Leiden zu beenden. Schließlich gab Greta nach. Sie verabreichte ihrer Freundin die
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