Vertrau mir
erwartet hatte. Es brachte absolut gar nichts. Auf dem Gang warteten die anderen. Maike sah Anna fragend an. »Na? Wie war es?«
Anna zuckte mit den Schultern. »Sinnlos«, erwiderte sie.
»Hast du sie nach dem Versteck gefragt?«
»So weit kamen wir gar nicht.«
»Konntest du denn gar nichts aus ihr rausbekommen?«
»Du meinst, außer der Erinnerungen an alte Zeiten, als wir noch gemeinsam . . .« Anna hielt inne, erinnerte sich plötzlich. Claudia und sie hatten früher einmal, rein theoretisch wie Anna damals dachte, den Fall einer Entführung erörtert. Als Versteck dachten sie sich etwas Besonderes aus. Sie würden die Entführten nicht an einem bestimmten Ort verstecken, sondern in einem LKW-Anhänger einsperren. Den Anhänger wollten sie jeden Tag auf einem anderen Parkplatz abstellen, um nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf ihn zu lenken. Er sollte ausgepolstert sein wie die sprichwörtliche Gummizelle, damit keine Schreie nach außen dringen konnten. Als Beleuchtung eine Glühlampe, die sich alle zwölf Stunden ein- und ausschaltete, Wasser und Brot, und für die Notdurft einen Vorrat an Windeln, vorübergehend entsorgt in einem Gefrierschrank, der durch dasselbe Stromaggregat betrieben wurde wie die Glühlampe. Damit würden keine Gerüche entstehen. Der Plan war perfekt.
Maike sah Anna fragend an. »Was ist?«
Anna erzählte, woran sie sich erinnerte.
»Und damit kommen Sie erst jetzt?« fragte Wallbach aufgebracht.
»Ich hatte es vergessen.«
Wallbach lief eilig fort. Mit einem entschuldigenden Blick zu Anna folgte Maike ihm.
Die Pressemitteilung kam pausenlos im Fernsehen: Nach einem entscheidenden Hinweis durchforstete die Polizei gestern in beispielloser Aktion alle Landstraßen. Die entführten Norich-Manager wurden um 15:43 Uhr auf einem Parkplatz nahe Marburg in einem abgestellten LKW-Anhänger gefunden. Sie waren entkräftet, aber sonst in guter Verfassung.
Die Aufklärung des Falles wurde von der Presse drei Tage lang bejubelt. Man sah Wallbach auf allen Bildschirmen, manchmal auch Maike und ihre Kollegen. Anna saß zu Hause und schaute sich den Rummel um die Sache mit gemischten Gefühlen an.
Maike hatte nach der Fahrt ins Krankenhaus weder angerufen noch war sie bei ihr aufgetaucht. Anna gehöre nicht zu den Leuten, die sich vormachten, dass man drei Tage lang keine Gelegenheit findet, sich zu melden, wenn man es will. Die Funkstille bedeutete nichts anderes, als dass Maike bekommen hatte, was sie wollte. Den entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falles und obendrein noch ein Abenteuer, in dem sie ihre sexuelle Neugier befriedigte. Ein zusätzlicher Reiz, den sie sicher genossen hatte. Auf ihre, Annas, Kosten.
Sie hatte offensichtlich das Pech, immer an Frauen zu geraten, die sie nur so lange interessant fanden, wie sie ihnen als Mittel zum Zweck diente. Erst war es Claudia, und nun auch Maike. Anna seufzte. Wieder einmal hatte sie sich ausnutzen lassen, ohne es zu merken. Dabei hätte sie, hätte sie nur mal einen Moment ernsthaft nachgedacht, leicht darauf kommen können, dass eine Frau wie Maike sicherlich nicht an jemandem mit ihrer Vergangenheit interessiert war. Darüber hinaus waren sie beide so verschieden, wie man nur sein konnte. Sie teilten nur eines, nämlich die Gewissheit, die andere würde genau das Gegenteil von dem tun, was man selbst für richtig erachtete. Anna fasste einen Entschluss: Komme, was da wolle. So etwas passierte ihr nicht noch mal. Sie hatte endgültig genug von Spielen wie diesen. Ab sofort würde sie sich nur noch um ihren Hof, die Tiere und sich selbst kümmern. Vor allem würde sie keinen Gefühlsbeteuerungen mehr glauben. Oder irgendwelchen anderen Versprechungen. Damit war es endgültig vorbei.
17.
I n den letzten Tagen ging alles dermaßen drunter und drüber, dass Maike keine zehn Minuten Ruhe am Stück fand. Nachdem die Entführungsopfer gefunden wurden, begann ein unglaubliches Spektakel um alle Beteiligten. Maike und ihren Kollegen wurde absolutes Schweigen befohlen. Allein der Polizeisprecher durfte Kommentare abgeben. Zur bevorstehenden Pressekonferenz wurden sie einen Tag lang bis ins Detail instruiert. Und danach musste Maike einen Tag lang Berichte schreiben. Den dritten Tag verlangte sie nur noch nach einem: Schlaf.
Die ganze Zeit über wollte Maike Anna anrufen, aber nicht wie nebenbei. Sie wollte Annas Stimme in sich aufnehmen, sich ihr Gesicht vorstellen, ihre lächelnden Augen. Deshalb wartete Maike lieber auf den
Weitere Kostenlose Bücher