Vertrau mir
richtigen Zeitpunkt. Und der war jetzt. Sie wählte Annas Nummer.
»Was willst du denn noch?« fragte Anna schroff. Maike verschlug es die Sprache. Warum reagierte Anna so aggressiv? Maike war so perplex, es dauerte einige Sekunden, bis sie ihren Schreck überwand. »Ich habe dich vermisst«, lautete ihre verwirrte Antwort.
»Ach wirklich? Den Eindruck hatte ich nicht.«
Maike verstand. Anna war sauer, weil sie sich die letzten Tage nicht gemeldet hatte. »Ich hatte wirklich enorm viel Arbeit. Du machst dir keine Vorstellung«, beschwichtigte sie Anna. Zumindest versuchte sie es.
»Und nun hast du wieder Zeit? Und da soll ich praktischerweise auch welche haben. Damit du noch ein wenig den Reiz des Neuen genießen kannst, bevor er vorbei ist?«
Maike konnte Anna nicht folgen. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« wollte sie wissen.
»Entschuldige, dass ich mich nicht gebührend freue, dass du mich nach deinem Fall nicht ganz ad acta gelegt hast. Brauchst du mich noch für einen deiner Berichte? Soll ich dir beim Formulieren helfen? Wie wäre es damit: Anna Ravensburg verhielt sich anfangs sehr unkooperativ. Ich konnte aber ihr Vertrauen erlangen. Dazu machte ich mir den Umstand zunutze, dass Frau Ravensburg lesbisch ist. Ich flirtete mit ihr, täuschte Gefühle vor. So erarbeitete ich mir ihre Unterstützung. Nachdem ich mit ihr schlief, gab Anna Ravensburg den entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falles. Absatz. Ich ersuche um die entsprechende Beförderung.«
Fassungslos hörte Maike, was Anna sagte. Das war doch wohl nicht ihr Ernst! Glaubte sie das wirklich? Hielt sie sie für derart hinterhältig? Dann fiel Maike ein, dass Anna einen solchen Verdacht ihr gegenüber schon mal geäußert hatte. Am Morgen nach ihrer gemeinsamen Nacht, als Wallbach sie anrief und von Claudias Festnahme erzählte. Sie hatte diesen Vorwurf Annas bereits wieder vergessen. Leider, wie sich jetzt herausstellte. Denn offenbar kreiste Anna dieser absurde Gedanke seitdem im Kopf herum. Kein Wunder, dass sie auf hundertachtzig war. Wie konnte sie Anna von dieser fixen Idee, sie hätte sie nur benutzt, abbringen?
»Anna, du hast da was in den falschen Hals bekommen. Ich lege jetzt auf und komme zu dir. Dann reden wir vernünftig über alles«, sagte Maike beschwörend.
»Den Weg kannst du dir sparen.« Anna legte auf.
Entgeistert starrte Maike auf den Hörer in ihrer Hand.
Maike fuhr auf den Hof, stieg aus dem Wagen, rief laut Annas Namen. Nichts rührte sich. Aber Annas Wagen stand da. Also war sie auch zu Hause. Maike ging zum Haus, klopfte. Keine Antwort. Sie drückte die Türklinke. Die Tür war nicht verschlossen, deshalb trat Maike ins Haus. In der Küche fand sie Anna nicht. Sie rief noch mal.
»Ich sagte doch, den Weg kannst du dir sparen«, sagte Anna plötzlich unwirsch hinter ihr. Maike drehte sich um. Anna stand in der Tür und sah sie missmutig an.
»Anna!« rief Maike, ging auf sie zu, um sie zu umarmen. Anna wich aus.
»Was willst du hier?«
»Mit dir reden natürlich.«
»Es gibt nichts zu reden.«
»Oh doch. Ich möchte wissen, was zum Teufel du dir in deinem Kopf zusammengereimt hast. Glaubst du wirklich, ich hätte nur aus Berechnung mit dir geschlafen?«
Anna verschränkte die Arme vor ihrem Körper. »Ist doch egal, weshalb«, sagte sie barsch. »Am besten, wir vergessen es einfach. Es war nichts von Bedeutung.«
»Nichts von Bedeutung?« Da war Maike aber anderer Meinung. Und Annas Überempfindlichkeit strafte sie Lügen. »Mir kam es so vor, als würde es dir sehr wohl etwas bedeuten«, widersprach sie energisch. Leise setzte sie hinzu: »Unabhängig davon, für mich war es sehr schön gewesen.«
Anna hätte beinah gesagt: Für mich doch auch . Sie biss sich auf die Zunge. Maike sollte nicht wissen, wie es in ihr aussah. Anna war enttäuscht und verletzt. Und absolut überzeugt, Maike fühlte sich nur angehalten, etwas Nettes zu sagen, um ihren hässlichen Trick zu kaschieren. Die Mühe konnte sie sich sparen. Sie durchschaute Maike. Aber bitte, wenn die darauf bestand. Sie, Anna, konnte auch eine gute Schauspielerin sein.
»Sicher war es schön.« Sie gab ihrer Stimme einen unbeteiligten Klang. »Aber es war nur eine Nacht. Machen wir daraus nicht mehr. Das würde die Sache überbewerteten.«
»Und ich dachte . . .« Maike stockte.
»Was?« Anna sah sie an. Maike wirkte enttäuscht. Einen Moment kamen Anna Zweifel. Was, wenn Maike nun doch etwas für sie empfand? Wenn sie
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