Vertrau mir
Anna partout nicht will, dann sollte ich sie vielleicht einfach in Ruhe lassen. Andererseits, ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass ich sie nur wegen eines Irrtums verlieren soll, eines eingebildeten Vertrauensbruches wegen. Wenn ich wirklich etwas getan hätte, sie einen Grund hätte, mich zu verachten, wäre das etwas anderes. Und hätte ich zum Beispiel getan, was sie mir vorwirft, wäre das so ein Grund. Deshalb verstehe ich Anna sehr gut. An ihrer Stelle würde ich vielleicht genauso reagieren.«
»Bist du nicht gekränkt, weil Anna dir so etwas zutraut?« wollte Greta wissen.
»Oh ja. Das bin ich ganz sicher. Besonders als sie mir den Vorwurf zum ersten Mal an den Kopf geworfen hat. Zuerst schnallte ich gar nicht, was sie meinte, so absurd fand ich den Gedanken. Je länger ich aber darüber nachdenke, je besser kann ich ihn nachfühlen. Wenn man bedenkt, wie kurz Anna und ich uns erst kennen und unter welchen Umständen wir uns kennengelernt haben, ist ihr Vorwurf so abwegig nicht. Deshalb bin ich natürlich trotzdem gekränkt. Aber nicht so tief, wie du vielleicht denkst. Ich sage mir, die Umstände sind nun mal so, wie sie sind. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen.«
21.
D ie Ankündigung zu Annas Vortrag las Maike nur zufällig, als sie auf dem Weg zu Professor Gerster kurz am Fahrstuhl warten musste. Maike überflog die Aushänge an der Tafel neben dem Fahrstuhl, ließ selbigen fahren, schaute genauer, was dort stand, schüttelte mit dem Kopf. Anna war wirklich unglaublich. An einer Universität, die ein ganzes biomedizinisches Forschungszentrum hatte und wo gerade der Grundstein für ein neues Hochsicherheitslabor für virologische Forschung gelegt worden war, wo also tierexperimentelle Forschung so normal war wie der Gebrauch von Messer und Gabel beim Mittagessen, an so einer Uni wollte Anna einen Vortrag über die Vermeidung von Tierversuchen halten. Maike konnte vor sich sehen, wie das endete. Die Teilnehmer würden Anna in kleine Stücke zerlegen, ihr vorwerfen, den Fortschritt zu behindern und ihr die national und international anerkannten wissenschaftlichen Preise der Mitarbeiter der Uni vorhalten.
Was dachte Anna sich nur dabei? Glaubte sie, auch nur einen der Zuhörer auf ihre Seite zu ziehen? Falls überhaupt jemand kam, dann doch nur, um ihr Paroli zu bieten, um die Forschung am Tier und ihre Methoden zu verteidigen. Hier war wirklich nichts für Anna zu holen, ihr Vorhaben die reine Energie- und Zeitverschwendung. Trotzdem . . . Maike bewunderte Annas Kampfgeist. Auch wenn er etwas Don-Quichotte-artiges hatte, weil ihr Kampf genauso aussichtslos war.
Der Fahrstuhl hielt erneut. Diesmal stieg Maike ein, weiter auf dem Weg zu Gersters Büro. Sie wollte Einsicht in einige Formulare nehmen. Heute Morgen rief sie Gerster an, weil ihr die Liste mit den Personen, die Zugang zu dem aufgebrochenen Laborschrank hatten, sehr kurz vorkam. Nur drei Personen außer ihm? Gerster erklärte Maike das Verfahren. Für jede Entnahme giftiger Substanzen oder Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fielen, musste ein Formular ausgefüllt werden. Generell konnte das jeder Student, brauchte nur eine Unterschrift vom jeweiligen Leiter der Forschungsgruppe. Die drei Personen, die er aufschrieb, waren diejenigen mit einer Zugangsberechtigung zum Schrank. Was nicht ausschloss, dass jemand in deren Beisein geschickt genug war, das Morphin zu entwenden und der Schrank erst im Nachhinein aufgebrochen wurde, um es wie einen Diebstahl durch Universitätsfremde aussehen zu lassen. Besagte Formulare wollte Maike jetzt einsehen, kopieren und die Antragsteller genauer unter die Lupe nehmen. Beim Durchblättern des Ordners kam Maike ein Gedanke – der mit ihrer Arbeit so gar nichts zu tun hatte.
Warum ging sie nicht zu Annas Vortrag? Maike konnte sich nicht denken, dass Anna nicht wusste, worauf sie sich einließ. Also hatte sie sich gründlich vorbereitet, gute Argumente vorbereitet. Die zu hören, war Maike neugierig. Auf dem Weg zum Parkplatz nahm sie wieder den Fahrstuhl, las noch einmal den Aushang, als sie ausstieg, um sich Ort und Zeit in ihrem Kalender zu notieren.
Maike setzte sich in eine der hintersten Reihen, direkt hinter einen jungen Mann mit Fitnessstudiofigur, dessen Rücken sie ganz gut verdeckte. Wenn möglich, sollte Anna sie nicht sehen. Maike wollte Anna in ihrer Konzentration, die sie sicher für dieses Unterfangen brauchte, nicht ablenken.
Anna stand am Pult im unteren
Weitere Kostenlose Bücher