Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
zu vermeiden. Zu viel Blut war vergossen worden, zu viel Angst und Misstrauen hatten geherrscht. Nachdem der Stamm seit Jahrtausenden unentdeckt neben den Menschen gelebt hatte, hatte die unsägliche Tat eines skrupellosen Stammesvampirs vor zwanzig Jahren Jahrhunderte von Vorsicht und Diskretion schlagartig zunichtegemacht, als dieser in seiner schurkischen Machtgier Dutzende eingekerkerte, blutsüchtige Vampire auf die arglose Menschheit losgelassen hatte.
Es war dem Orden zugefallen, das Gemetzel aufzuräumen und die Rogues zu vernichten, die eine blutige Schneise des Entsetzens über den ganzen Planeten gezogen hatten. Aber Lucan und seine Krieger hatten nicht schnell genug handeln können, um die Wellen der Gewalt einzudämmen, die nach den Angriffen ausgebrochen waren. Ganze Städte waren dem Erdboden gleich gemacht worden, Gebäude gesprengt und Regierungen durch Anarchie und Rebellenaufstände abgesetzt. Die Zivilbevölkerung des Stammes wurde durch Razzien am Tag dezimiert, ihre Dunklen Häfen wurden verwüstet, ganze Familien abgeschlachtet oder den tödlichen Strahlen der Sonne ausgesetzt.
Dann, als es schon schien, als könnten die Kämpfe zwischen der Menschheit und dem Stamm nicht schlimmer werden, war eine massive Chemiewaffe im russischen Binnenland abgefeuert worden und hatte Hunderttausende von Hektar Wildnis unbewohnbar gemacht. Ein katastrophaler Schlag, für den bis heute weder die Menschen noch der Stamm die Verantwortung übernommen hatten.
Aber es hätte schlimmer ausgehen können – wenn eine Waffe dieser Größenordnung und Sprengkraft stattdessen auf eine Großstadt abgefeuert worden wäre.
Trotzdem waren ihre Auswirkungen auf der ganzen Welt zu spüren gewesen und hatten Lucan veranlasst, den Orden auszuschicken, um alle Atomanlagen und Chemiewaffenfabriken in jedem Winkel des Planeten zu zerstören.
Obwohl es das einzig Richtige gewesen war – die einzig vernünftige Maßnahme –, gab es immer noch Angehörige beider Spezies, die Lucan für sein kompromissloses Vorgehen verachteten. Einige befürchteten, dass er nicht zögern würde, sich selbst erneut zum Richter und Vollstrecker der Welt zu ernennen, wenn der Konflikt zwischen den Menschen und dem Stamm eskalierte.
Und da hatten sie verdammt recht.
Lucan konnte nur hoffen, dass er diese Entscheidung niemals würde treffen müssen.
Ein Klopfen ertönte an der Tür seines Arbeitszimmers, eine willkommene Ablenkung von seinen finsteren Gedanken.
»Komm rein«, rief er, mehr Knurren als Einladung. Er ließ die Vorhänge wieder fallen und wandte sich vom Fenster ab.
Er hatte Gideon erwartet, Stammeskrieger und Technikgenie des Ordens, der schon so lange für die hoch komplizierte Kommandozentrale zuständig war. Derzeit war es Gideons Aufgabe, Lucan Updates zum Veranstaltungsgebäude des Friedensgipfels zu liefern, damit der Orden die nötigen Maßnahmen für die Sicherheit des mehrtägigen Events treffen konnte.
Aber es war nicht Gideon an der Tür.
»Darion.«
»Störe ich dich beim Arbeiten, Vater?«
»Aber gar nicht.« Er winkte Darion zu sich ins Zimmer.
Allein schon beim Anblick seines Jungen – der große, muskulöse Einundzwanzigjährige mit dem kastanienbraunen Haar und den gefühlvollen dunklen Augen seiner Mutter – spürte Lucan, wie seine momentanen Sorgen von ihm abfielen. Es waren Darions andere Charakterzüge – er hatte Lucans kantige Gesichtsstruktur mit dem starken Kinn, das für den eisernen Willen stand, den er von beiden Eltern geerbt hatte –, weshalb Vater und Sohn immer aneinandergerieten. Abgesehen von Gabrielles Haar- und Augenfarbe und ihrer übersinnlichen Gabe, die Dare von ihr geerbt hatte, war das Zusammensein mit seinem Sohn für Lucan wie der Blick in einen Spiegel.
Darion war seinem Vater in vieler Hinsicht nur allzu ähnlich, eine Erkenntnis, die Lucan mehr beunruhigte, als er zugeben wollte. Aber während Lucan sich mit seinem natürlichen Hang, Anführer zu sein, immer schwer getan hatte, besaß Dare keine solche Skrupel. Er war zu kühn und zu direkt, furchtlos bei allem, was er anfing – Eigenschaften, die Lucan als Vater das Blut gefrieren ließen vor Angst um seinen Sohn, wenn er ihn sich vorstellte, wie er in der Kampfmontur der Ordenskrieger in die Schlacht zog.
Wenn es nach Lucan ginge, würde dieser Augenblick, den er so fürchtete, niemals kommen.
Darion stapfte ins Arbeitszimmer, lässig gekleidet in dunklen Jeans und einem schwarzen Hemd mit aufgerollten Ärmeln, der
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