Vertraute Schatten
entschlossenen Vampir würde sie nicht lange aufhalten. Als die Tür aufschwang, riss Elena ihre hellgrünen, überaus katzenartigen Augen weit auf.
»Stimmt irgendwas nicht?«
Elena blinzelte und schüttelte leicht den Kopf. »Nein, nein, es ist nur … deine Haare. Darauf war ich nicht gefasst. Anscheinend hatte ich ganz vergessen, dass die Perücke eine Perücke war …« Sie schwieg, während sie jede von Arianes hellen Strähnen einzeln zu begutachten schien. »Schon seltsam. Für eine Dynastie, die so großen Wert darauf legt, unter sich zu bleiben, haben die Grigori wirklich allerhand Sehenswertes zu bieten.«
Ariane zuckte mit den Schultern. Die intensive Musterung war ihr unangenehm. »Nicht absichtlich, das kannst du mir glauben.« Sie trat beiseite, um Elena ins Zimmer zu lassen.
Elena schlenderte herein, was Ariane mit einer Mischung aus Freude und Beklommenheit verfolgte. Die Cait Sith mit dem sinnlichen Lächeln und dem aufbrausenden Temperament war die beste Freundin, die sie je gehabt hatte … was allerdings nicht viel besagte. Schon nach wenigen Tagen hatte Elena sie »Ari« genannt und teilte mit ihr allen möglichen Klatsch, den sie von den ständig wechselnden Bewohnern des Verstecks aufgeschnappt hatte. Außerdem war sie eine wahre Goldgrube an nützlichen Tipps, wie Ariane auf der Straße überleben konnte.
Ariane hatte eine dunkle Vorahnung, dass dieser Besuch mehr Gardinenpredigt als Klatsch bedeuten würde. Sie lag richtig. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, wirbelte Elena zu ihr herum und schaute sie ernst an.
»Ist auch egal, wie du aussiehst. Du darfst nicht so gutgläubig sein, Ari«, sagte Elena. »Ich habe dir doch eingeschärft, die Tür erst dann aufzumachen, wenn du dich davon überzeugt hast, wer draußen steht. Dieses Haus ist voll von dubiosen Vampiren, die sich aus diesem oder jenem Grund verstecken. Siehst du das Fenster da?« Sie deutete auf ein schmales Rechteck, das Licht und den Lärm der Stadt hereinließ.
Ariane nickte.
»Das ist dein Fluchtweg, wenn einer von ihnen an deine Tür klopft.«
Trotz ihrer Niedergeschlagenheit musste Ariane beinahe lächeln. Meine Güte, offenbar machte sie einen komplett hilflosen Eindruck. Vielleicht konnte sie dies einmal zu ihrem Vorteil einsetzen, falls es ihr gelang, diesen Punkt gelassener zu betrachten.
»Ich kann auf mich selbst aufpassen, Elena«, sagte sie.
Die zog die Stirn in Falten. »Wenn du meinst. Allerdings weckst du nicht den Anschein, als wüsstest du sonderlich viel über unsere modernen Zeiten. Oder über andere Vampire.«
Das saß.
»Ich weiß allerhand über andere Dynastien. Dass ich nicht viel von der Welt gesehen habe … steht auf einem anderen Blatt.«
Zu ihrer Überraschung kicherte Elena los. »Sind wir aber empfindlich. Hör mal, ich hoffe wirklich, dass du zäher bist, als du aussiehst, Ari. Die Grigori-Männer wirken bedrohlich, aber du bist die erste Grigori-Frau, die ich je kennengelernt habe. Und soviel du auch wissen magst – aus Büchern zu lernen ist gut und schön, aber der Umgang mit Vampiren im richtigen Leben ist eine andere Nummer. Das wirst du schnell spitzkriegen … vorausgesetzt, du bleibst so lange am Leben.«
Diese trockene, unverblümte Feststellung verschlug Ariane vorübergehend die Sprache. Elena schaute sich mit ihren legendären Augen in dem kleinen, schäbigen Zimmer um. Ariane folgte ihrem Blick, unsicher, was Elena sah oder suchte. Hier gab es nur ein Einzelbett mit fadenscheinigem Laken, eine Kommode, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, und ein Nachttischchen, das zum Rest der Einrichtung überhaupt nicht passte. Einziger, wenn auch kleiner Lichtblick war das Fenster, auch wenn die Aussicht nichts besonders Anregendes bot. Ariane hatte schon mitbekommen, dass die Sicheren Häuser nie in den schönen Bezirken einer Stadt lagen. So konnte man leichter untertauchen. Und leichter Nahrung finden.
Etwas skeptisch wandte sich Elena wieder Ariane zu. »Dass man mit leichtem Gepäck reist, kann ich ja noch nachvollziehen, aber das hier ist schon fast krankhaft. Seit zwei Wochen wohnst du nun hier, und das Zimmer sieht wie verlassen aus. Wie lange willst du eigentlich noch bleiben? Ich habe ja schon viel erlebt, seit ich hier angefangen habe, aber du fällst wirklich aus dem Rahmen.«
Ariane erstarrte angesichts dieser, so empfand sie es, Zurechtweisung. Sie mochte Elena, soweit man jemanden, der so wenig aus sich herausging, eben mögen konnte. Diese Zurückhaltung war
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