Vertraute Schatten
dass ein ›perfekter‹ Grigori auf den Sterblichsten unter uns eifersüchtig sein sollte?« Er erläuterte diese kryptische Aussage nicht weiter, sondern schüttelte nur den Kopf. »Jedenfalls gut, dass dir die Flucht gelungen ist. Sariel ist in den letzten Jahren ziemlich paranoid geworden.« Sams indigoblaue Augen blitzten auf. »Zu Recht.«
»Und trotzdem hast du mich dort zurückgelassen.« Es gelang ihr nicht, Trauer und Wut aus ihrer Stimme herauszuhalten. Als sie noch geglaubt hatte, Sam wäre entführt worden, hatte sie diese Gefühle nicht gehabt. Aber zu wissen, dass er sie vorsätzlich in der Höhle des Löwen zurückgelassen hatte, weil er genauso wenig Vertrauen in sie hatte wie alle anderen, war wie ein Dolchstoß ins Herz.
Sam zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck wurde für einen Moment hart, so als hätten ihn ihre Worte verletzt. »Als ich ging, war mir klar, dass mich irgendwann der Stärkste unter uns jagen würde,
d’akara
. Es ist reines Glück, dass ich noch am Leben bin. Solch einem Risiko konnte ich dich einfach nicht aussetzen.«
Ariane sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du, der Einzige, den ich dort hatte, hast mich glauben lassen, du wärest verletzt oder sogar tot. Ich bin von meinen eigenen Leuten gejagt worden. Ich musste Oren töten. Und der andere Grigori, der mit dir hier ist? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er derjenige ist, der mich und den Shade, der mir geholfen hat, beinahe umgebracht hätte. Wie kann all das besser sein, als wenn du mir einfach die Wahrheit gesagt hättest?« In Sams Augen flackerte etwas auf, das vermutlich Verständnis, vielleicht sogar so etwas wie ein Schuldeingeständnis war.
Sams Kopf sank tiefer in das Kissen. »Selbst die Alten sind nicht immer perfekt, Ariane. Mach mir Vorhaltungen, so viel du willst, aber hab Mitleid mit Lucan. Wir hatten nicht mit dir gerechnet. Und nach all den schrecklichen Dingen, die er erlebt hat, ist er immer rasch bei der Hand, wenn es gegen einen der Unsrigen geht.«
Bei Sams Worten lief Ariane ein Schauder über den Rücken. »Aber er hat Unschuldige ermordet. Manon … und diesen armen Angestellten.«
Sams Gesicht wurde wieder etwas weicher. »Ach,
d’akara
, in unserer Welt gibt es nur wenige Unschuldige. Manon war genauso verdorben wie alle anderen. Er hatte viel mehr Einfluss in der Stadt, als selbst mir bekannt war. Einer seiner Leute hatte Lucan mit mir zusammen gesehen. Das allein hätte schon gereicht, um Sariel gegen uns losschlagen zu lassen, und darauf waren wir nicht vorbereitet. Manon wollte für sein Schweigen Geld von mir, dabei wusste ich, dass er die Information trotzdem weitergeben würde, an jemand anderen. Einer von den Alten, der den Schoß der Familie verlässt, der heimlich irgendetwas plant … Sariel konnte nicht mit letzter Sicherheit wissen, dass ich aus freien Stücken verschwunden war. Aber Lucan hatte sich bereits vor einem Jahr abgesetzt, und dass er geflohen war, daran gab es keinen Zweifel, und auch der Grund war bekannt. Wenn die anderen erfahren hätten, dass wir uns zusammengetan hatten, hätte das bei ihnen die Alarmglocken schrillen lassen, schneller als mir lieb sein konnte.«
»Den Schoß der Familie verlassen? Ich hatte Lucan vorher noch nie gesehen!« Arianes Stimme war lauter geworden. Das ergab doch alles keinen Sinn!
»Er war dort. Unsichtbar. Wie so vieles.«
Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es dort, unter all dem Sand, der ihre Heimat gewesen war, wirklich etwas Albtraumhaftes gab.
»Chaos. Der Seelenfresser«, murmelte sie. All ihr Ärger verflog schlagartig und machte tödlich kalter Angst Platz.
Sam sah sie lange an. In der Dunkelheit war sein Gesichtsausdruck schwer zu deuten. »Kluges Mädchen. Ich habe dich unterschätzt. Wie hast du das mit dem Dämon herausbekommen?«
»Der Shade, den dein Freund zu töten versucht hat, hat mir ein wenig geholfen.« Ihre Freude, Sam wiederzusehen, hatte sich in etwas Dumpfes verwandelt. Erst jetzt, nachdem sie andere Vampire kennengelernt hatte, wurde ihr bewusst, wie seltsam ihr Freund in gewisser Weise war.
Sams Abscheu war nicht zu übersehen.
»Ach ja, der Shade. Die Wahl deiner Begleitung überrascht mich.«
Der Tadel traf sie nicht in dem Maß, wie er das früher getan hätte.
»Sein Name ist Damien. Wenn wir nicht zusammengearbeitet hätten, hätte dich keiner von uns gefunden. Mir ist klar, was du davon hältst, aber es stimmt. Nicht alles auf der Welt ist schwarz oder weiß.«
»Und
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