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Vertraute Schatten

Vertraute Schatten

Titel: Vertraute Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendra Leigh Castle
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Lyra. Ihre Haut fühlte sich von Minute zu Minute kühler an. Sie wollte Antworten. Und sie hatte das Gefühl, dass sie sie gleich bekommen würde.

19
    Das Schlafzimmer lag in tiefer Dunkelheit.
    Ariane bekam kaum mit, wie die Tür leise hinter ihr geschlossen wurde. Im ersten Moment nahm sie beim flackernden Licht der einzigen Kerze nur die groben Umrisse des Zimmers wahr. Ein Nachttisch. Ein Waschbecken. Ein massives Himmelbett.
    Dann sah sie die Flügel.
    Sie waren wunderschön, rauchgrau mit pechschwarzen Tupfen und bedeckt mit Federn, die aussahen, als müssten sie sich seidenweich anfühlen. Ausgebreitet auf dem schneeweißen Leinenbetttuch zeugten sie von solcher Perfektion, dass sich Ariane einen Moment lang auf nichts anderes konzentrieren konnte. Riesige, majestätische, faszinierende Flügel. Etwas Ähnliches hatte sie noch nie gesehen.
    Doch dann sprang ihr etwas Violettes ins Auge, und jetzt erst nahm sie ihn selbst wahr, ihren Sam. Er lag, gestützt von mehreren Kissen, halb aufrecht da. Nur die Beine waren zugedeckt, die Brust war nackt, damit er die Flügel bequem ausbreiten konnte.
    Seine
Flügel. Die sie noch nie gesehen hatte. Und jetzt verstand sie auch warum.
    Ihre eigenen Flügel, alle anderen Flügel, waren im Vergleich zu seinen nur blasse Abbilder.
    »Hast du Angst vor mir, jetzt, wo du mich siehst, wie ich bin,
d’akara

    Seine Stimme klang sanft, doch es schwang eine Verletzlichkeit in ihr mit, die sie bei ihm noch nie gehört hatte. Der Alabasterglanz seiner Haut war verschwunden. Seinem Gesicht, sonst immer ganz kalte Perfektion, war die Anspannung deutlich anzumerken.
    Festzustellen, dass er nicht so unbesiegbar war, wie sie immer geglaubt hatte, war ein Schock.
    Rasch durchquerte sie das Zimmer, kletterte auf das Bett, schlang die Arme um ihn und presste die Wange gegen seine angenehm kühle Haut. Ihre Augen brannten, und das war nun wirklich eine Überraschung. Sie weinte nie, Tränen waren ihr fremd – andererseits hatte sich vieles geändert, seit sie die Wüste verlassen hatte.
    »Ich habe dich vermisst«, flüsterte sie. »Erst dachte ich, du wärest tot … und dann … wusste ich gar nichts mehr.«
    »Und ich dachte, du wärest auf unserem Stammsitz am sichersten aufgehoben, bis Lucan und ich unsere Mission erfüllt hätten«, erwiderte er mit rauer Stimme. »Ich hätte wissen müssen, dass du nicht einfach dort ausharren würdest.«
    Ariane richtete sich auf, blieb aber neben ihm sitzen. Sie betrachtete ihn von oben bis unten, und schließlich entdeckte sie, was ihn derart geschwächt hatte. Über seinen linken Flügel zog sich von der Spitze bis ganz unten eine hässliche Zickzacklinie getrockneten Bluts.
    Zu hören, dass ihm beinahe der Flügel abgetrennt worden war, hatte sie zutiefst schockiert. Es mit eigenen Augen zu sehen zog ihr schier den Boden unter den Füßen weg.
    »Sariel ist verrückt geworden – dir so etwas anzutun! Das heilt doch, oder? Bitte sag mir, dass es heilen kann!«
    »Es wird noch eine Zeit lang dauern, aber ja,
d’akara
, es heilt. Der Flügel wird zusammenwachsen. Bis der Rat tagt, sind wir wieder einsatzbereit.«
    Ariane sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wir?«
    Sam schüttelte leicht den Kopf. »Später. Erst müssen wir noch ein paar andere Sachen besprechen, Ariane. Es gibt da einiges, was du erfahren musst.«
    »Zum Beispiel, warum du ohne ein Wort verschwunden bist?«
    Sam seufzte leise. Das Kerzenlicht malte tiefe Schatten unter seine Augen. »Wie ich schon sagte: Ich dachte, auf dem Stammsitz wärest du in Sicherheit. Und ich glaubte, es wäre sicherer, wenn du nichts wüsstest. Eigentlich glaube ich das immer noch.«
    Ariane krallte die Finger in die dünne Bettdecke. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie seltsam Sam an jenem letzten Abend gewesen war. Damals hatte sie sich keinen Reim darauf machen können … jetzt schon.
    »Aber Sariel hat geglaubt, ich wüsste etwas. Er wollte mit mir allein sein. Zeit mit mir verbringen. Mir kam das ziemlich seltsam vor.« Sie schüttelte den Kopf. »Vermutlich ein weiterer Grund, weshalb sie mich nicht auf die Suche nach dir schicken wollten. Ich war dermaßen wütend, weil sie sich für Oren entschieden hatten.«
    Sammaels Mundwinkel sanken nach unten, und das verlieh ihm trotz seiner Schwäche etwas unglaublich Gefährliches.
    »Oren. Totale Fehlentscheidung. Sariel hielt ihn für einen perfekten Vertreter dessen, was unsere Dynastie darstellen sollte. Loyal. Kalt. Ist es nicht komisch,

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