Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Namen Nicola Sonja den Prosecco nicht reichen konnte (so fade, schmal lippig, bieder und langweilig war sie), war Sonja seitdem leicht verhaltensgestört. Wir versicherten ihr immer wieder, dass Holger zurückkommen werde, dass er nur eine Art Midlife-Crisis habe und eines Tages bestimmt merken werde, was für eine Traumfrau sie sei, aber sie glaubte uns kein Wort. (Und wir uns manchmal auch nicht.) Sie war mehr denn je auf ihr Äußeres fixiert und tat alles, um zwanzig Jahre jünger auszusehen. Sie bretterte im silbergrauen (geleasten) Porsche durch die Stadt, tänzelte auf abenteuerlichen High Heels durch unsere winzige Fußgängerzone, hatte »French Pedicure« an den Füßen und Glitzersteinchennagellack an den Händen. Gern lief sie auch für unsere einzig brauchbare Boutique auf einem eilig errichteten Laufsteg zwischen Brunnen und Zebrastreifen Modenschauen. Die Klamotten durfte sie anschließend behalten, was sie total euphorisch stimmte. Ihr Modegeschmack war mit meinem nicht kompatibel. Sonja trug gern Nietenledergürtel zu engen Jeans, die ihren gepiercten Bauchnabel freigaben, dazu knappe Nietenlederjäckchen in Größe 36 und darunter winzige Spaghettiträgerhemdchen, die sie ihrer Tochter Vivian stibitzte.
An Vivian sahen sie bezaubernd, entzückend, sexy aus. An Sonja einfach nur deplatziert. Sonja hatte ein echtes Problem damit, nicht mehr zwanzig zu sein, und trotzte der Erdanziehungskraft mit allen nur erdenklichen Mitteln. Neben Botox, Permanent-Make-up und diesem ganzen Zeug, mit dem ich mich nicht auskenne, trainierte sie täglich bis zu vier Stunden ihren Body. Aber diese Besessenheit … Da lobte ich mir doch Billis würdevoll getragenen Muttispeck!
Und nun liebäugelte Sonja mit Echthaar-Extensions. Dieses Haar stammte von langmähnigen Inderinnen, wurde dann wasserstoffblond gefärbt und an europäische Köpfe geschweißt. Ich konnte über solche Ideen nur den Kopf schütteln, aber Sonja fand das alles toll und aufregend. Noch gehörte sie nicht zum alten Eisen!
Nun gut, Sonja hatte gleich an drei schrecklichen Gewitterfronten zu kämpfen: Denn da waren nicht nur ihre bildschöne Tochter Vivian, die sie durch ihre bloße Existenz in den Schatten stellte, und Nicola, die schmallippige Bürotusse mit Schluppenbluse, mit der ihr Mann Holger durchgebrannt war, sondern bis vor Kurzem auch noch ihre Mutter, ihre grausam geltungssüchtige Mutter, die früher ein Ballettstudio geleitet hatte. Im Gegensatz zu meinem goldigen Mütterchen musste sie ein echter Drache gewesen sein! Ich stellte sie mir immer vor wie Cruella aus 1001 Dalmatiner, die kleine Hundbabys abschlachtet. Sonja wurde nicht müde zu erzählen, dass sie bei ihrer Mutter immer nur das ungeschickte Trampel gewesen war, das peinliche, mittelmäßige Nichts, das keinen anständigen Spagat auf dem Schwebebalken hinbekam, noch nicht mal einen Salto rückwärts aus dem Stand. Ein Trampel, für das sich die Mutter nur schämte und das es nie zu etwas oder jemand Bedeutendem bringen würde. Die arme Sonja versuchte ständig, aller Welt das Gegenteil zu beweisen – inzwischen konnte sie die kompliziertesten Yoga-Verrenkungen, die ganz abwegige Namen hatten und nach krankem Inder aussahen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie es erst jetzt, mit Mitte vierzig, gewagt hatte, in die Pubertät zu kommen, nachdem ihre alles überschattende Mutter endlich tot war. Sie tobte sich aus, flirtete, was das Zeug hielt, und holte sich alles, was ihre Mutter ihr damals versagt hatte. Hauptsache, sie stand im Mittelpunkt und fiel auf.
Eine Pubertät, die im Übrigen nahtlos von den Wechseljahren abgelöst wurde. Sonjas Launen konnten durchaus anstrengend sein. Besonders die Eifersucht auf ihre eigene Tochter war geradezu lächerlich! Da biss sich doch die Katze in den Schwanz: Weil Sonja ihre Tochter Vivian NICHT so behandelt hatte, wie sie es von ihrer eigenen Mutter gewohnt war, war sie eifersüchtig und brach in Tränen aus, wenn Vivian etwas Tolles gelang! Aber auch wenn sie mir manchmal auf die Nerven ging: Sonja war so etwas wie das Salz in der Suppe in unserem braven Butterblum, und ich mochte sie so, wie sie war.
Meine andere beste Freundin Billi Stark war klein, rundlich und rotwangig. Letzteres, weil sie recht gern dem Prosecco zusprach. Ihre dünnen blonden Härchen, die Ähnlichkeit mit Federchen hatten, trug sie mit der gleichen humorvollen Würde wie ihre kleinen Hüftpölsterchen. Billi war eine tolle Hausfrau und Mutter, konnte
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