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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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leuchtenden Farben, der Himmel ist so blau wie im Mai, der Duft genauso intensiv, und selbst die Vögel zwitschern sich noch mal die Seele aus dem Schnabel! Man möchte gar nicht wahrhaben, dass die ganze Pracht bald in sich zusammenfällt!«
    Billis Botschaft war eindeutig. Fand ich. Doch Sonja verstand sie nicht.
    »Dann hast du die ganze Schweinerei mit dem Blätterfegen. Gut, dass ich keinen Garten habe.«
    Vivian ist im Mai, dachte ich wehmütig. Und wir sind im September. Aber die Farben können dieselben sein. Und wenn man wie Sonja den Verstand ausschaltet, kann man noch einmal so heftig aufblühen wie sie! Ich gönnte es ihr.
    Würde MIR die große Liebe noch einmal begegnen? Warum musste ich mich mit Brosamen wie Rainer begnügen, während meinen Freundinnen die Sahneschnittchen buchstäblich vor die Füße fielen? Sehnsüchtig ließ ich den Blick schweifen: über den See, den heute Hunderte von Segelschiffen zierten, über den blumenübersäten Garten mit den vielen alten Bäumen. Billi hatte so viel von dem, was das Leben lebenswert macht. Obwohl sie keine Traumfigur hatte: Sie liebte und wurde geliebt.
    Mein Blick glitt zu meiner anderen Freundin, die in einem briefmarkengroßen Bikini neben ihrer Tochter Vivian auf dem Bootssteg lag und sich mit geschlossenen Augen ihren wirren Liebesfantasien hingab. Sie sahen ein bisschen aus wie Zwillinge (nein, nicht wie Zwillinge. Wie Vorher-Nachher-Fotos). Beide liebten denselben Mann, eine im Mai und eine im September. Beide hielten aus Rücksicht aufeinander ihre Gefühle geheim.
    Sonja beneidete ich auch. Um ihre Traumfigur und um ihre Traumtochter. Ich streckte mich seufzend auf meinem Liegestuhl aus.
    »Ich kann verstehen, dass du dich nicht von Rudi scheiden lässt«, sagte Vivian schläfrig zu Billi, ohne die Augen zu öffnen. »Dieses Leben hier gäbe ich auch nicht auf.«
    »Wisst ihr, was Rudi neulich zu mir gesagt hat?« Billi setzte sich im Liegestuhl auf und verteilte genüsslich Sonnencreme auf ihrem Dekolleté. »Du würdest dich niemals scheiden lassen, dafür bist du viel zu gern die ›Frau Doktor‹.«
    »Und?«, sagte Sonja gähnend. »Da ist doch was dran, oder?«
    »Und wisst ihr, was ich Rudi daraufhin geantwortet habe?«
    »Arschloch?«, schlug Vivian vor.
    »Ich mache jetzt selbst einen Doktor!«
    »Das ist also wirklich dein Ernst?« Wir fuhren alle zu ihr herum. »Du?«
    »Ja, genau. Ich!« Billi strahlte in die Runde. »Ich habe doch auch Abitur gemacht und studiert! Nicht Medizin, aber Philosophie!«
    »Aber du hast doch nie Examen gemacht«, maulte Rikki von ihrem Lateinbuch herüber. Sie musste wegen Schwangerschaft und Geburt ein paar Nachprüfungen machen, um für das Abitur zugelassen zu werden.
    »Ja, und rate mal, warum nicht, du Naseweis!«
    »Keine Ahnung? Weil du keinen Bock hattest?«
    »Weil ich drei Kinder gekriegt habe, mich um Rudis Praxis kümmere, um Haus und Garten und jetzt auch noch um mein Enkelkind!«
    »Reg dich wieder ab!«, murmelte Rikki erschrocken und vertiefte sich wieder in ihre Vokabeln.
    »Ich finde, das ist eine wunderbare Idee!« Ich beugte mich zu Billi vor und nahm ihre Hand. »Wenn es eine schafft, dann du!«
    »Hast du denn schon ein Thema für deine Doktorarbeit?«
    »›Ungleiche Paare‹«, sagte Billi wie aus der Pistole geschossen. »›Wenn die Frau älter ist als der Mann‹.«
    Sonja wurde rot und kicherte. »Wie kommst du nur auf die Idee?«
    »Wenn ihr mich fragt, ist das ein total bescheuertes Thema für eine Doktorarbeit«, rief Vivian aufgebracht.
    »Ist doch voll im Trend«, wandte ich hastig ein. »Ich meine, warum ist es bei Männern ein Kavaliersdelikt, jüngere Frauen zu haben, während über Frauen mit jüngeren Kerlen die Nase gerümpft wird?«
    »Genau! So als wäre sie notgeil«, murmelte Vivian. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Sie sprang auf und machte einen Kopfsprung ins Wasser.
    »Man könnte glauben, das Kind ist noch in der Pubertät«, sagte Sonja seufzend.
    »Oder ihr in den Wechseljahren«, ätzte Rikki über ihrem Ovid.
    Billi verdrehte die Augen. Und ich musste lachen. Mai und September … Mein Mai war schon lange, lange her. 1983. Ich stand auf und dehnte meine eingerosteten Glieder. »Billi, dein Thema ist genial, und ich bin voll auf deiner Seite.«
    »Und was wird dann aus Mohair?«, fragte Rikki weinerlich.
    »Alles eine Frage des Timings und der Organisation«, meinte Sonja zuversichtlich.
    »Du machst erst mal Abitur. Wir kümmern uns alle abwechselnd um

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