Verwechseljahre: Roman (German Edition)
noch aus weiß. Dabei wollte er nur mal unverbindlich schauen, wie du so bist.«
»Na toll! Er wollte mich also besichtigen wie einen Oldtimer auf einem Parkplatz. Gefällt er, macht man vielleicht noch eine Probefahrt.«
»Ja, so ähnlich war sein Plan. Hättest du ihm nicht gefallen, wäre er einfach wieder verschwunden. Auf Nimmerwieder sehen. Dann hätte er sich nie wieder gemeldet.«
»Aber wozu tischt er mir dann diese bescheuerte Arktis-Geschichte auf?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Er brauchte Zeit und wollte dich auf Distanz halten.«
Ich sah ihn fragend an.
»Na, versetz du dich doch mal in seine Lage!«
Ich holte tief Luft und überlegte. Mein Blick huschte zu meinen Freundinnen hinüber und zu Manni, der plötzlich Roman war. Sie standen auf der Wiese beieinander, plauderten und lachten. Manni sah verstohlen zu mir herüber, und Sonja zerrte besitzergreifend an seinem Arm.
»Okay. Vivian liebt er, Sonja ist seine Arbeitgeberin, der er Liebe vorgaukeln soll, Billi wünscht er sich als Mutter – und ich BIN seine Mutter.«
»Ja«, sagte Rudi schlicht. »Kluges Mädchen. Du hast es erfasst.«
Ich wusste nicht, wie ich diesen neuen Schmerz verkraften sollte. Er wünschte sich Billi als Mutter? Warum nicht mich?
Rudi tätschelte mir die Schulter, setzte seine Sonnenbrille wieder auf und schlenderte davon. Die Sprechstunde war beendet. Ich blieb auf der Bank sitzen und spürte diesen nicht enden wollenden Schmerz. Über mein Bein krabbelte eine Spinne. Es war mir egal.
»Carin? Können wir reden?«
Da stand er. »Mein Sohn.« Würde ich ihn je ohne Anführungszeichen so nennen können?
»Klar«, sagte ich mit ausgedörrtem Mund.
»Es tut mir wahnsinnig leid, Carin.« Der Mann, der mein Sohn war, hielt mir ein kaltes Bier hin. »Hier. Trink. Auf unsere Versöhnung, bitte!«
Wie in Trance nahm ich es ihm ab und trank gierig einen köstlichen kalten Schluck. Wie damals mit Rainer im Biergarten, als ich gerade den Unfall meiner Mutter und Olivers, also Romans Anruf verkraften musste, der jetzt Manni war … Steig da noch einer durch!
»Wie soll ich dich denn jetzt nennen?«, fragte ich matt.
»Roman. Gute Freunde nennen mich Manni.«
Er stupste mich in die Seite, sodass ich fast von der Bank fiel.
Wir schwiegen eine Weile. Ich nahm noch einen Schluck Bier und reichte meinem Sohn dann die Flasche. Ohne ihn anzusehen.
»Warum, Roman, warum?«
»Warum was?«
»Warum hast du mir diese Komödie vorgespielt?«
»Wurde MIR etwa keine Komödie vorgespielt?«
»Warum müssen Menschen sich belügen?«
»Ich fand, dass ich ein Recht darauf hatte, dich in Ruhe kennenzulernen. Ich bin mein Leben lang belogen worden, Carin. Dreißig Jahre lang. Meine über alles geliebte Mutter hat mich angelogen. Mein Vater auch. Und da gibt es plötzlich eine Carin, die mich zur Welt gebracht hat. Ich habe einfach instinktiv reagiert.«
Ich nickte, wobei ich die Lippen zusammenpresste.
»Meine Eltern haben es niemandem gesagt, Carin! Niemandem! Dass sie mich aus diesem Heim geholt haben. Meine Mutter hat behauptet, eine alte Tante in Bayern pflegen zu müssen und kam nach sechs Monaten mit einem Baby zurück. Das hatte sie zufällig beim Tantepflegen in Bayern geboren.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Alle haben das geglaubt! Ich selbst habe es geglaubt. Mein Leben ist eine einzige Lüge!«
»Wir haben alle Fehler gemacht.« Ich sah ihn von der Seite an. »Wir haben alle versucht, das Beste aus unserer Situation zu machen. Deine Mutter auch.«
Wie leicht es mir inzwischen fiel, »deine Mutter« zu sagen! Ich nahm sie sogar schon in Schutz!
»Meine Beweggründe kennst du ja inzwischen«, stellte ich sachlich fest. »Ich habe sie dir erzählt, als ich dich noch für einen Fremden hielt. Verstehst du, warum ich dich damals weggegeben habe?«
»Ja.« Er nahm einen Schluck Bier: »Immerhin bin ich nicht auf dem Oktoberfest entstanden. Das bedeutet mir viel.« Er grinste versöhnlich.
»Okay. Da du Ende Januar geboren bist, konnte das ja auch gar nicht sein.«
Es war ein bisschen wie Friedenspfeife rauchen. Er hatte vorsorglich eine Packung Tempotücher mitgebracht, und ich zupfte eines heraus.
»Und, wie geht es jetzt weiter? Wann gehst du zurück nach Hamburg?« Umständlich putzte ich mir die Nase.
»Ich kann im Moment nicht zurück.«
Manni – okay, jetzt reiße ich mich zusammen – Roman rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
»Wieso nicht?«
Die Bierflasche
Weitere Kostenlose Bücher