Verwechseljahre: Roman (German Edition)
sehr, und aus irgendeinem Grund glaubt Sonja …« Er raufte sich die Haare. »Ich habe ihr wirklich keinen Anlass gegeben, glaub mir, aber sie hat mir einen ziemlich heißen Brief geschrieben …«
Ich biss mir auf die Lippen. »Sie? Dir? Einen Brief?«
»Ja. Es wäre indiskret, ins Detail zu gehen …«
»Nein, lass mal lieber.« Ich schluckte trocken.
Die arme Sonja! Plötzlich spürte ich, wie sich mein Herz zusammenzog. Ich nahm Mannis Hände und drückte sie mit einer Inbrunst, die mir selbst peinlich war.
»Oh bitte, Manni, kannst du nicht noch ein bisschen mitspielen?« Ich war ganz aufgeregt. Durch mein langes Geständnis hatte ich Vertrauen zu ihm gefasst. »Sie ist im Moment so glücklich …«
»Ja, aber doch hoffentlich nicht meinetwegen?!«
»Lass sie doch noch ein bisschen in dem Glauben …«
»Du meinst, ich soll ihr was vormachen?« Er wurde plötzlich ganz blass.
»Würde es dir sehr schwerfallen?«
»Oh Scheiße, Mann, Scheiße!« Manni wandte sich ab und versetzte dem Ohrenball einen heftigen Tritt.
Der arme Kerl. Er war einfach zu ehrlich für unsere Intrigen.
»Aber ich will nichts von Sonja, glaub mir! Und ehrlich gesagt will ich auch keine Fitness- DVD mit ihr drehen! Sie könnte vielleicht im Hintergrund …«
»O Gott, Manni, das würde sie umbringen!«
»Ja, aber wer hat ihr nur diesen Furz ins Gehirn gesetzt?«
» SEIS «, sagte ich.
»Wer?«
»Selbsteinschätzungsirrtumsyndrom.«
Er starrte mich an.
Ich winkte ab. »Ist ja auch egal.«
»Nein, ist es nicht!«
»Ich beschwöre dich! Sie hat im Moment eine schlimme Krise, wir haben Angst, dass sie sich was antut! Bitte!«, flehte ich. »Tu es – für mich.«
Er zögerte. »Warum sollte ich das für DICH tun?«
Mir brach der Schweiß aus. Allerdings. Wer war ich denn für ihn? Eine graue Maus, mit der er soeben trainiert hatte. Nicht mehr und nicht weniger.
»Ich meine, tu es für – das Fitnesscenter Nord.«
»Und wie lange soll ich dieses Spiel mitspielen?«
»Weiß nicht.« Ich zuckte die Schultern. »Solange du kannst.«
Stöhnend sank er in sich zusammen. »Wirklich, lange mache ich das nicht mehr mit! Ich hab wirklich ganz andere Probleme, das kannst du mir glauben!« Mit diesen Worten warf er sein Handtuch über die Schulter und knallte die Tür hinter sich zu.
Sechs Wochen nach Mutters Unfall sah das Bein noch immer schlimm aus.
»Schauen Sie nur!«, sagte der behandelnde Arzt bedauernd. »Die Haut ist leider schwarz geworden. Wir werden wohl um eine Amputation nicht herumkommen!«
Mir wurde schwarz vor Augen. »Bitte tun Sie das meiner Mutter nicht an!« Meine arme Mutter saß wimmernd im Bett und bekam alles mit. Wie konnte dieser Arzt nur so herzlos sein!
»Wir werden eine zweite Meinung einholen«, verkündete Rainer, der zum Glück dabei war. (Ja, so weit war es schon gekommen.) »Der Schwager meiner Exfrau ist Spezialist in der Uniklinik München!«
»Aber auf Ihre Verantwortung, Herr Bergmann!« Der Arzt in der kleinen Klinik hielt Rainer nach wie vor für meinen Ehemann und für Mutters Schwiegersohn. Ausnahmsweise war ich darüber erleichtert. Insofern hatte der Arzt auch gar nichts dagegen, dass Rainer meine Mutter am nächsten Tag abholte, sie in seinen Ford verfrachtete, dessen Beifahrersitz er zu einer Liegefläche umfunktioniert hatte, und mit uns nach München fuhr. Am Rückspiegel baumelte ein Murmeltier, und auf dem Handschuhfach klebte ein Sticker mit der Aufschrift: »Schnauze, Schatz«.
Ach, Rainer!
Trotzdem war ich wahnsinnig dankbar, ihn zu haben. Von seinem miserablen Klamottengeschmack und seinen Gedichten einmal abgesehen, musste man ihn wirklich mögen. Was hätte ich nur ohne ihn gemacht?
»Sie sind so ein feiner, lieber Mensch«, krächzte meine Mutter, deren Hand ich hielt.
»Ich wünschte, Ihre Tochter würde das auch so sehen«, gab Rainer zurück. »Neuerdings gehe ich sogar ins Fitnessstudio! Ich habe schon zwei Kilo abgenommen!« Er lächelte mir über den Rückspiegel zu. »Sie soll nichts an mir auszusetzen haben!«
»Aber das hat sie doch auch gar nicht! Nicht wahr, Carin! Rainer ist ein liebenswerter Mann, und wir sind froh, dass wir ihn haben.«
»Ja, Mutter. Das sehe ich auch so.« O Gott, ich gaukelte meiner Mutter vor, mich für Rainer zu erwärmen, nur um ihr Elend ein bisschen zu lindern! Ich MOCHTE Rainer, das schon, aber mehr eben auch nicht!
»Wenn ich mal nicht mehr bin«, sagte meine Mutter ihren Spruch auf, »müssen Sie auf meine Tochter
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