Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Arztvilla am See ein und aus. Billi hatte ihn ohne viel Aufhebens in die Familie integriert, so wie sie das mit allen jungen Leuten tat. Auch wenn ein bisschen die Eifersucht an mir nagte, musste ich mir doch eingestehen, dass Billi der mütterliche Typ war, bei dem sich jeder sofort wohlfühlte. Was hätte Manni denn bei mir in der Dreizimmerwohnung gesollt, in der es nach Bohnerwachs, Desinfektionsmitteln und altem Menschen roch? Er hatte eine Wohnung gesucht, und Billi hatte ihm das Zimmer von Fabi, dem gehörnten Rikki-Freund, angeboten.
Rudi nannte Manni einen »patenten Kerl«. So gut aussehend, intelligent, hilfsbereit und vielseitig, wie er war, hatte er alle Her zen im Sturm erobert. Er spielte Fußball mit Billis Sohn Tobi. Er jagte sämtliche Familienmitglieder über den Tennisplatz und organisierte ein richtiges Familienturnier. Kam Billis ältester Sohn Robbi, der Mediziner, auf Besuch, fachsimpelte er mit ihm über Sportmedizin. Außerdem büffelte er mit der siebzehnjährigen Rikki fürs Abitur, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Ein richtiger Tausendsassa. (Altmodisches Wort, halt noch aus dem letzten Jahrtausend. Aus Mutters Wortschatz.)
Es war Sonntag, und wir drei Freundinnen genossen den Septembernachmittag am See. Billi hatte einen Pflaumenkuchen gebacken, der auf dem Gartentisch unter einer Abdeckung stand, sodass die Wespen nicht drankonnten. Rote Sonnenschirme spendeten Schatten. Dort stand der Kinderwagen mit Mohair. Sonja und Vivian lagen im knappen Bikini auf dem Bootssteg und forderten die Sonne heraus. (Wer ist die Schönste im ganzen Land?) Rikki lernte am Gartentisch, Tobi bolzte seinen Ball an die Garagenwand. Heimlich warteten wir alle auf Manni, der mit Rudi segeln war. Er war unser aller Mittelpunkt geworden, unentbehrlich, ein neuer Magnet am Kleinstadthimmel.
»Manni Adler Superstar«, hatte Billi ihn genannt.
»Interessant, was ein Fitnesstrainer so alles draufhat«, wunderte ich mich.
»Und dann noch so tolle Liebesbriefe!«, sagte Billi grinsend mit einem Seitenblick auf Sonja. Oje. Ich fühlte mich elend.
Sonja schwebte seit Wochen im siebten Himmel und las uns stets unter dem Siegel der Verschwiegenheit Rainers Briefe vor, die ich zugegebenermaßen dann und wann in Sonjas Spind verschwinden ließ, ohne sie vorher geöffnet zu haben. Kaum war Vivian ins Wasser gesprungen, zog Sonja einen neuen grünen Tintenerguss aus ihrer Badetasche.
»Hört zu, Mädels!« Sie setzte sich auf, zog ihre Lesebrille aus dem Etui und las mit bebender Stimme vor:
»Wenn du wüsstest,
wie viele Gedanken
immer
von mir an dich
unterwegs sind –
du würdest
eine Luftbrücke beantragen,
damit sie
über die lange Entfernung
auch sicher ankommen.
So kommen sie
immer
unbeachtet zurück.«
»Dabei beachte ich ihn doch!«, wunderte sich Sonja. »Aber offensichtlich nicht genug! Wisst ihr, ich kann doch vor meinen Kunden nicht mit ihm rumknutschen!«
»Meinst du, er will knutschen?«
»O ja! Das schreibt er sogar wortwörtlich!«
Ich spürte ein Kratzen im Hals. »Ähm, hast du mal einen Schluck Wasser da?«
»Für mich bitte Prosecco!« Sonja ließ sich das Glas füllen und las weiter:
»Ich
habe
so einen
hungrigen Blick,
und
meine Lippen
dürsten
nach dir.«
»Lalala«, machte ich und hielt mir die Ohren zu.
»Er will wirklich knutschen!«, sagte Billi amüsiert.
»Danke, wir haben einen Eindruck bekommen«, sagte ich schwach. O Gott, wohin sollte das noch führen?
Sonja ließ den Brief sinken und schaute uns verklärt an.
»Ist er nicht der Wahnsinn?«
»Ähm … mich dürstet gerade … Ich glaube, ich nehme jetzt auch ein Glas Prosecco.«
»Ich verstehe gar nicht mehr, dass ich Holger je eine Träne nachgeweint habe!« Selig lächelnd drückte Sonja die grünen Briefe an ihren Busen. »So schön schreiben konnte der nie!«
»Tja, unser Superstar kann einfach alles«, bemerkte Billi.
»Soll Holger doch mit seiner faden Nicola glücklich werden! Ach, mir geht es so gut! Da ist es mir ganz egal, dass ich bald fünfzig werde!«
»Achtung, Vivian kommt!«
Wie eine Meerjungfrau entstieg Vivian den Fluten und strich sich die nasse Mähne aus dem Gesicht. Es sah aus wie ein Zeitlupe-Dreh: Werbung für Diät-Margarine.
»Ist Manni schon da?«
»Nein, Liebes, noch nicht.«
Wir beeilten uns, das Thema zu wechseln.
»Ein herrlicher Altweibersommer«, schwärmte Billi und streckte sich genüsslich in ihrem Liegestuhl aus. »Alles blüht noch einmal in
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