Verwechseljahre: Roman (German Edition)
schoben zwar keinen Kinderwagen, aber einen Rollstuhl. Und wir plauderten über meinen Sohn.
»Wie hat Vivian auf die Neuigkeit reagiert? Und darauf, dass die Fitness- DVD mit ihr UND Sonja gedreht wird?«
»Roman behauptet, Vivian würde alles tun, was er sagt.« Mir war etwas unbehaglich. »Ich habe Angst, dass sich das Mädel ernsthaft in ihn verliebt hat.«
»Der Bursche sieht blendend aus«, musste Rainer zugeben. »Das hat er von seiner Mutter geerbt.« Dabei legte er den Arm um mich, sodass der Rollstuhl vom Weg abkam und übers Gras holperte.
»Achtung!«, rief ich und entwand mich seinem Griff. »Mutter rollt uns ja noch in den See!«
»Der Junge spielt nicht mit offenen Karten«, ließ sich Mutter unter ihrem Sonnenhut vernehmen. »Mir gefällt das alles nicht.«
»Also wenn ihr meine Meinung hören wollt, der Bursche hat euch Damen alle um den Finger gewickelt.« Rainer brachte den Rollstuhl schwitzend zurück auf die Spur. »Der führt irgendwas im Schilde.«
»Wie meinst du das?« Ich sah ihn unwillig von der Seite an.
»Im Fitnesscenter mache ich so meine Beobachtungen.«
»Gehst du deshalb neuerdings trainieren?« Ich griff energisch an den Rollstuhl, als sich unsere Hände im Eifer des Gefechts berührten.
»Liebe Carin, ich bin gerne in deiner Nähe.« Rainer schenkte mir ein verliebtes Lächeln. »Außerdem kann es nicht schaden, wenn ich mir ein Bild von deinem Sohn mache.«
»Das ist ganz in meinem Sinne!«, sagte Mutter.
»Aber nicht in meinem!« Erzürnt blitzte ich Rainer an und zog meine Hand weg. »Ich will Roman in Ruhe kennenlernen! Mischt euch bloß nicht ein!«
»Nun reg dich doch nicht so auf, Carin. Rainer meint es doch nur gut!«
Ja, das tat er. Emsig schob er Mutter weiter über den schmalen Seeweg.
»Ich sage nur, was ich sehe«, keuchte er. »Da taucht dieser junge Mann auf, der dein Sohn ist, Carin. Er legt aber nicht die Karten auf den Tisch, sondern gibt vor, ein Trainer zu sein. Sonja und Vivian macht er große Hoffnungen auf beruflichen Erfolg. Bei deiner anderen Freundin Billi ist er quasi eingezogen und macht sich dort unentbehrlich. Man könnte meinen, er spielt euch gegeneinander aus. Was bezweckt er damit?«
»Ich glaube, er sucht verzweifelt eine neue Heimat«, sagte ich. »Er hat seine Mutter verloren. Das Verhältnis zu seinem Vater ist gestört. Und von seiner Frau trennt er sich gerade. Obwohl das dritte Kind unterwegs ist.«
»So was macht man nicht!«, sagte Mutter.
»Aber wir dürfen ihn nicht verurteilen, solange wir nicht wissen, was eigentlich los ist«, ergriff ich lautstark für meinen Sohn Partei.
»Er ist einfach abgehauen und hat bei euch unter falschem Namen ein neues Leben angefangen. Der hat Dreck am Stecken«, sagte Mutter.
»Weiß Vivian, dass er Frau und Kinder hat?«, fragte Rainer.
»Keine Ahnung.«
»Du musst es ihr sagen, Carin!«
»Ist das mein Recht? Ich meine, darf ich mich da überhaupt einmischen?« Ich war sehr verunsichert.
»Du bist seine Mutter!«, rief meine Mutter aus ihrem Rollstuhl. »Du musst ihm die Ohren langziehen und ihn nach Hause schicken!« (Mutter war immer sehr pragmatisch.)
Ich schüttelte den Kopf. »Erstens herrschen heute andere Erziehungsmethoden, zweitens ist er dreißig, und drittens kenne ich ihn kaum!«
»Eben!«, sagte Rainer. »Und deshalb laden wir ihn zum Kaffee ein und fühlen ihm auf den Zahn.« Vertraulich beugte er sich vor. »Was meinst du, Paula? Knöpfen wir uns deinen Enkel mal vor. Ich habe eine gute Menschenkenntnis!«
Oh. Er war also schon mit meiner Mutter per Du.
»Danke, kein Interesse«, sagte Mutter stur. »Er soll zu seiner Frau und seinen Kindern gehen. Das ist meine Meinung.«
»Und ich denke, dass wir ihm Zeit lassen sollten. Rainer, bitte akzeptiere doch, dass er MEIN Sohn ist und nicht deiner!« Hach, dass Rainer schon wieder so übergriffig werden musste! Er begriff es einfach nicht. Das Ergebnis unseres harmonischen Sonntagsausflugs war ein neues Gedicht, das er mir zusteckte, nachdem ich Mutter zu Bett gebracht hatte.
Ich fühle
die Berührung
deiner Hände –
ich glaube,
die Eiszeit geht zu Ende.
Bei nächster Gelegenheit schob ich ihn Sonja unter die Spindtür.
Billi und ich besuchten die Dreharbeiten im Studio und waren beeindruckt. Vivian und Sonja sahen fast aus wie die Kessler-Zwillinge, als sie da so synchron turnten. Sie rahmten ihren gemeinsamen Liebling Roman ein: beide im weißen Outfit und er ganz in Schwarz. Es sah toll aus. Wir machten
Weitere Kostenlose Bücher