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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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uns nützlich, wo wir nur konnten. Billi schaute mit Mohair im Arm auf die Stoppuhr, damit die Übungen im Drehplan blieben, und ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, mit hinter der Kamera zu stehen und das Synchronturnen mit ausladenden Armbewegungen zu dirigieren. Es war unser gemeinsames Projekt, und die Woche samt professionellem Kamerateam, Regisseur und Redakteurin war spannend und aufregend und schweißte uns noch mehr zusammen. Wir sprachen nicht mehr über unsere Probleme, sondern konzentrierten uns voll auf die Sache. Sonja war unglaublich ehrgeizig und zäh und ließ keine halbherzige Szene durchgehen. An manchen Tagen turnten die drei das gesamte Programm viermal durch, und die Maskenbildnerin hatte alle Hände voll zu tun, den Protagonisten den Schweiß wegzupudern.
    Wenn Roman und Vivian schon platt auf dem Boden lagen, hatte Sonja noch etwas zu verbessern. Kritisch sah sie sich die Szenen auf dem Monitor an.
    »Mist, da habe ich gewackelt. Scheiße, da kriege ich den Arsch nicht hoch! Warum sagt mir das denn keiner! Das Bein ist überhaupt nicht gerade! Verdammt, Vivian, da sehe ich alt gegen dich aus.«
    »Na und, Mama? Wäre das so schlimm?« Vivian nahm Sonja in den Arm. »Mama, du bist super, und ich bin einfach nur wahnsinnig stolz auf dich!«
    Da kamen Sonja die Tränen: »Ich wünschte, meine eigene Mutter hätte das nur ein einziges Mal zu mir gesagt!«
    Die Filmleute schalteten ihre Kameras aus und gingen eine rauchen.
    Wir waren alle gerührt. Schweiß, Tränen, Erschöpfung, enge Freundschaft und überraschende Verwandtschaftsverhältnisse – wir lagen uns in den Armen.
    Wie oft hatte ich mir vorgestellt, meinem Sohn die Tür zu öffnen und ihn in mein Leben zu lassen! Ihm mein Leben zu erzählen. Und heute machte er seinen offiziellen Antrittsbesuch bei mir!
    Um punkt vier riss ich in banger Erwartung die Wohnungstür auf. Die Kaffeemaschine zischte und brodelte in der Küche, und ich hoffte, dass sich bei ihm ein Gefühl der Geborgenheit einstellen würde. Er trug ein weißes Hemd und Jeans. Er wirkte älter und reifer. Jetzt erkannte ich den erfolgreichen Journalisten, der er war.
    Mutter weigerte sich partout, ihren Enkel kennenzulernen. Mit dem Kapitel wollte sie einfach nichts mehr zu tun haben. Sie lag in ihrem abgedunkelten Zimmer und stellte sich tot.
    Unvermeidlich hingegen war Rainers Anwesenheit. Ich schaffte es einfach nicht, ihn aus der Wohnung zu komplimentieren – nach allem, was er für Mutter und mich getan hatte! So saßen wir bei Kaffee und Keksen zusammen am Tisch. Roman ließ prüfend seinen Blick durch die Wohnung schweifen. Er wirkte enttäuscht. Vielleicht hatte er mehr erwartet.
    »Milch?«
    »Nein danke.«
    »Zucker?«
    »Auch nicht, danke.«
    »Aber ich, und zwar gleich drei Stück.« Rainer strahlte uns entwaffnend an. »Ich bin nämlich ein ganz Süßer.«
    Ich seufzte. Ja, Rainer. Wir haben es begriffen. Peinlich berührt schaute ich zu Roman.
    »Und eure Beziehung ist noch mal welcher Art?«, fragte mein Sohn und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Wir sind Nachbarn«, sagte ich.
    »Und Freunde«, sagte Rainer.
    »Natürlich«, sagte ich schnell. »Gute Freunde.«
    »Wir sind Lebensabschnittsgefährten«, behauptete Rainer dreist.
    »Also DAS ist dein Lebensgefährte?« Roman wirkte nicht sehr begeistert.
    »Wir leben getrennt«, sagte ich knapp.
    »Unter einem Dach, aber in verschiedenen Wohnungen«, erklärte Rainer. »Das gibt uns beiden ein Gefühl der Freiheit.«
    »Wir SIND frei«, sagte ich und verdrehte die Augen.
    »Aber nicht mehr lange!« Rainer hob neckisch den Zeigefinger. »Wenn es nach ihrer Mutter ginge, stünden wir schon morgen vor dem Traualtar!« Er klopfte Roman gönnerhaft auf die Schulter: »Und Sie wären unser Trauzeuge. Dann hätte auch Ihr Adoptivvater nichts mehr zu befürchten.«
    »Hast du ihm das etwa erzählt, Carin?«
    O Gott, war mir das peinlich!
    »Sie erzählt mir alles. Von der ersten Minute an.«
    »Es hat sich so ergeben«, sagte ich matt.
    »Keine Sorge, junger Mann. Carin wird nicht bei euch unterm Weihnachtsbaum sitzen. Nicht wahr, Carin? Wir zwei feiern hier ganz beschaulich mit deiner Mutter.«
    »Quatsch!«, sagte ich ärgerlich und rutschte nervös auf meinem Sofa herum. »Nimm noch von den Keksen, Roman.«
    »Es geht mich ja auch nichts an.« Roman nahm einen Schluck Kaffee. In seinem Gesicht stand der unausgesprochene Vorwurf: »Ich hätte etwas mehr Geschmack von dir erwartet, Carin.«
    Mit meinem Blick

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