Verwechseljahre: Roman (German Edition)
antwortete ich: »Du kennst die Umstände nicht!«
Jetzt sah Roman mich an, und ein mitleidiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Mein Herz machte diesen winzig kleinen Hüpfer, den es immer machte, wenn Roman und ich mal einen Mutter-Sohn-Moment hatten.
Rainer nahm einen Keks, tunkte ihn ein und tropfte den Unterteller voll. »Und wann werden wir Ihre liebe Frau und die Kinder sehen?«, fragte er forsch und stopfte sich seinen Keks in den Mund. »Ich bin schon ganz gespannt auf meine … Wie sagt man denn da – Schwipp-Schwiegerkinder. Obwohl, im biologischen Sinn …«
»Du hast da was am Kinn.« Ich reichte ihm eine Serviette.
»Es passt gerade nicht so gut.« Roman sah mich Hilfe suchend an. »Meine Frau bekommt jeden Moment ihr drittes Kind.«
»Aber dann – hurtig, hurtig!« Rainer machte eine energische Handbewegung. »Was machen Sie dann noch hier?«
»Ich will erst wissen, wer mein Erzeuger ist.« Roman sah mich fordernd an.
Ich zuckte zusammen. »Hat das denn nicht Zeit?«
»Nein. Hat es nicht.«
»Carin, er hat ein Recht darauf.« Rainer nickte bedächtig und hielt den nächsten Keks in den Kaffee. Um ihn zweckmäßigerweise gleich darin schwimmen zu lassen.
»Ich weiß nicht …«
»Doch. Raus mit der Sprache. Carin, sei kein Feigling.«
»Aber so was muss man doch in Ruhe …«
»Er ist ein Geistlicher«, sagte Rainer zu Roman. »Andrea Bocelli oder so ähnlich.«
»Aber das ist ein blinder Sänger, der etwa so alt ist wie ich!«
»Alessandro Bigotti.«
Roman sah mich überrascht an.
»Und wo finde ich den?«
»Roman, ich habe keine Ahnung! Es ist dreißig Jahre her, dass ich zum letzten Mal ein Lebenszeichen von ihm erhalten habe, und das war kein freundliches …«
Allerdings hatte ich den geistlichen Würdenträger längst gegoogelt. (Auf Rainers penetrantes Beharren hin.) Er war inzwischen ein hohes Tier im Vatikan: Nuntius, also päpstlicher Botschafter. (Pontius hätte besser zu ihm gepasst. Oder wer wusch seine Hände in Unschuld?) Jedenfalls würde er heute noch weniger daran interessiert sein, seinen Nachwuchs kennenzulernen, als damals vor dreißig Jahren.
Hastig sprang ich auf und suchte in der Kommode nach den Unterlagen. Ich fand die Aktenmappe mit unserem unerfreulichen Briefwechsel. »Hier. Das kannst du alles haben.«
»Schau dir das in Ruhe an, Junge«, sagte Rainer. »Wir haben keine Geheimnisse vor dir.«
Ganz unauffällig war Rainer auch bei meinem Sohn zum Du übergegangen.
Roman blätterte hastig in den Unterlagen und warf mit gerunzelter Stirn einen Blick auf die Anwaltsschreiben, Aktenvermerke, Stempel und den ganzen Behördenkram.
»Kann ich dich mal alleine sprechen, Carin?«
»Oh, bitte, bitte! Sprecht euch aus, tut euch keinen Zwang an!« Rainer sprang so abrupt auf, dass der Kaffee auf die Tischplatte schwappte. »Ich will mich nicht aufdrängen«, behauptete er. Kumpelhaft klopfte er Roman auf die Schulter, dass es krachte. »Ich schau mal nach deiner Mutter, Carin.«
Weg war er. Es rauschte die Klospülung, dann polterte es im Flur, und schließlich rumpelte es im Treppenhaus.
»Mann, ist der anstrengend.« Roman war aufgestanden und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Liebst du den, Carin?«
»Nein.«
»Ich meine, hat der irgendein Anrecht auf dich?«
»Nein.«
»Ja, warum gibst du dich dann mit dem Typen ab?«
»Er ist mein Nachbar.«
»Eigentumswohnung?«
Ich nickte. »Hm.«
»Das heißt, du hast den lebenslänglich an der Backe?«
»Sieht ganz so aus.«
»Wohnung verkaufen?«
»Vielleicht. Wenn Mutter tot ist.«
Ich zog die Schultern hoch. Das war ein unangenehmes Thema.
Es fiel ihm sichtlich schwer, aber er fragte trotzdem: »Sag mal, wie geht es deiner Mutter denn so?«
»Das weißt du doch. Sie ist alt und … verwirrt.« Verwirrt war ich allerdings im Moment auch. Das Gespräch nahm eine ganz merkwürdige Wendung.
»Anders gefragt: Wann … ähm … Ich meine, wie lange …« Roman sah sich im Wohnzimmer um, strich über die Tapete, hob wie zufällig den Teppich an und schaute auf das Etikett. Er machte ein paar lange Schritte, als wollte er ihn abmessen.
»Was meinst du damit?«
»Wie lange macht sie es denn noch?«
»Roman! Wenn das ein Witz sein soll, ist er daneben!«
»Ich will es ja nur mal so grob wissen …« Er genierte sich zwar, konnte sich aber die Frage nicht verkneifen: »Wenn du diese Eigentumswohnung irgendwann mal verkaufst, was wäre sie dann so wert? Ich meine, in der Lage?«
Ich starrte
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