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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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flüsterte mir Sonja zu.
    »Ich weiß nicht, inwieweit ich Ihnen das ganze Ausmaß der Katastrophe erzählen soll.« Viktor Stiller raufte sich die Haare und zündete sich mit zitternden Fingern erneut eine Pfeife an. »Wir kennen uns schließlich kaum, und ich weiß auch nicht, ob das in Romans Sinne ist.«
    Auf einmal verstand ich, warum er sich anfangs so arrogant benommen hatte. Die Sache nahm ihn gehörig mit. Und wir drei südbayrischen, neugierigen Landfrauen hatten dem armen Mann gerade noch gefehlt! Wenn wir doch wenigstens wegen der Stelle als Haushälterin gekommen wären!
    »Jedenfalls ist Roman kurz nach Beatrices Beerdigung einfach verschwunden«, fuhr Viktor Stiller mit seiner Erzählung fort. »Mir war klar, dass er auf der Suche nach seiner leiblichen Mutter war.«
    Er sah mich an, und sein Blick traf mich mitten ins Herz. Natürlich musste er mich hassen! Ich hatte ihm das Einzige genommen, was ihm nach dem Tod seiner Frau noch geblieben war!
    »Erst hat er mir eine SMS geschickt, dass er auf eine Arktis-Expedition geht«, sagte Viktor Stiller. »Das habe ich sehr begrüßt, weil ihn das wegführte von … seinen hiesigen Problemen. Er brauchte Abstand und wollte über alles nachdenken. Deshalb habe ich lange nicht nach ihm gesucht.«
    »Das hat er mir auch gesagt«, flüsterte ich. »Beziehungsweise seine Sekretärin. Sabine Stöcker.«
    Viktor Stiller nickte. »Sie hat ihm lange die Treue gehalten. Aber damit ist es jetzt vorbei.« Viktor Stiller nahm einen Schluck Tee, den Billi inzwischen für uns alle gekocht hatte. »Er arbeitet nämlich nicht mehr für den Verlag.«
    »Nein?«
    »Er wurde entlassen.«
    Ach du liebe Güte! Roman steckte wirklich entsetzlich in Schwierigkeiten.
    »Aber als er dann den ganzen Sommer nicht wiederkam und auch seine Frau Silke mit den kleinen Kindern allein ließ, wusste ich, dass er zu seiner biologischen Mutter zurück ist.« Er sah mich mit seinen grauen Augen traurig an: »Und die hat ihm offenbar gesagt, wo sein biologischer Vater ist.« Hilflos warf er die Arme hoch. »Und jetzt habe ich ihn endgültig verloren!«
    »Aber so war das gar nicht«, rief ich. »Das stimmt nicht! Ich wollte Ihnen Ihren Sohn nicht wegnehmen!«
    »Sie haben immer wieder über das Jugendamt nachgefragt«, fiel mir Viktor Stiller ins Wort. »Ständig haben Sie versucht, unser Familienglück zu torpedieren!«
    »Aber nein«, verteidigte ich mich. »Ich habe nie aufgegeben, nach Oliver zu suchen, aber ich wollte doch nur wissen, wie es ihm geht! Man hat mir ja nie Auskunft gegeben!«
    Mir schossen die Tränen in die Augen.
    »Diesen ganzen Briefverkehr hat Roman im Schlafzimmer meiner Frau gefunden. Das letzte Mal haben Sie vor dreizehn Jahren nachgefragt, als ich gerade mit dem Jungen und meiner Frau auf Weltreise war. Ich habe den Brief vom Jugendamt in tausend Fetzen gerissen und ihn ins Meer geworfen!«
    Mir blieb die Spucke weg. Warum war der Mann denn dermaßen gegen mich eingestellt? Das war doch ungeheuerlich! »Ich hatte doch ein Recht zu wissen, wie es meinem Kind geht!«, schnaubte ich. »Wie unmenschlich kann man denn sein!«
    »Nein, gute Frau, das hatten Sie NICHT . Lesen Sie mal, was Sie da unterschrieben haben! Hätten Sie den Jungen doch in Ruhe gelassen!«
    »Sie meinen, ICH bin schuld an dem ganzen Dilemma?«, schrie ich plötzlich schrill und sprang auf, dass die teuren Teetassen auf dem Glastisch wackelten.
    »Carin, Liebes, bitte beruhige dich!« Billi tätschelte mir den Arm.
    »Also wirklich, wie können Sie unsere Freundin nur so beschuldigen!« Sonja funkelte den Reeder böse an. »Mädels, lasst uns gehen.«
    »Ja. Bitte. Ich will hier weg!« Hastig wischte ich mir die Tränen weg. Plötzlich ertrug ich es keine Minute länger mehr in diesem Haus. Ich wollte mich nicht schuldig fühlen an der Einsamkeit und Verbitterung dieses Mannes. Ich hatte selbst genug gelitten, dreißig Jahre lang! »Lasst uns gehen«, flüsterte ich meinen Freundinnen zu.
    Viktor Stiller vergrub sein Gesicht in den Händen. Billi sprach leise auf ihn ein und bat ihn, uns ein Taxi zu rufen. Ich sah, dass er ihr eine Nummer aufschrieb. Sie drückte kurz liebevoll seinen Arm. Sonja musste vor Aufregung noch mal Pipi. Ich konnte nur noch an Flucht denken, sodass ich mir den Besuch seines goldenen Gäste- WC s buchstäblich verkniff. Ich hatte keine Lust, diesem Mann die Hand zu geben, und stolperte einfach in den dunklen Garten hinaus. Es hatte angefangen zu regnen, und Billi bat um einen

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