Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Schirm. Meine Freundinnen verabschiedeten sich hastig. Ich hörte Sonja sagen: »Dumm gelaufen«, und Viktor Stiller murmeln: »Nichts für ungut.«
Ich konnte nicht anders. Ohne mich umzudrehen eilte ich tränenblind davon. Fast wäre ich selbst in den blöden Pool gefallen.
18
S ilke wohnte in einem netten rot geklinkerten Reihenhaus in einem Hamburger Vorort, den wir etwas mühsam mit der S-Bahn erreichten. Er hieß Kleinklinkersdorf (behaupte ich jetzt mal). Billi war so geistesgegenwärtig gewesen, Viktor Stiller um die Adresse zu bitten. Unser Flug ging erst nachmittags zurück, und ich ersehnte den Anblick meiner Enkelkinder – und fürchtete mich auch ein bisschen vor meiner »Schwiegertochter«. Wenn sie genauso abweisend und arrogant war wie der Reeder, würde ich in Tränen ausbrechen. Ohne meine Freundinnen hätte ich nach dem gestrigen Drama nicht mehr den Mut gehabt, auch noch diese »Baustelle« aufzusuchen.
Vor dem Haus standen Dreiräder, ein Bollerwagen, ein Fahrrad mit Kindersitz und Babyanhänger. Im Vorgarten sah ich einen Sandkasten und ein kleines Trampolin. Das übliche von Kindersegen geprägte Vorstadt-Stillleben.
Ein brauner Haarschopf tauchte hinter dem vergitterten Küchenfenster auf. Silke war anscheinend gerade beim Kochen.
Wir drei atmeten einmal tief durch und sahen uns aufmunternd an.
»Bereit?«
»Bereit.«
Billi klingelte beherzt. Sie hatte sogar an einen Blumenstrauß gedacht. Ich war viel zu nervös und trat von einem Bein aufs andere. Natürlich hatten wir uns auch hier nicht angemeldet. Viel zu groß war die Angst, dass sie uns gar nicht empfangen würde.
Auf der Schwelle erschien eine schlanke junge Frau mit einem Baby auf dem Arm. Sie hatte die Haare zu einem Zopf geflochten, trug Jeans und Pulli und war auf natürliche Weise hübsch. Sie erinnerte mich an die Schauspielerin Alexandra Maria Lara. Ich war erleichtert, denn sie war mir auf Anhieb sympathisch.
Fragend lächelte sie uns an: »Ja bitte?« Weil im Hintergrund ein Kind nach ihr rief, drehte sie sich um und rief: »Un moment! N’aie pas peur! Je suis ici, chérie!«
Oh! Sie sprach mit ihren Kindern Französisch?!
»Wir sind keine Zeugen Jehovas«, sagte ich schnell und gab ihr die Hand. »Ich bin Romans Mutter.«
»Oh!« Ihr Lächeln blieb genauso freundlich wie zuvor. »Romans Vater hat mir schon erzählt, dass Sie in Hamburg sind! Kommen Sie rein!«
Gespannt betraten wir die gute Stube. Es roch nach Kakao. Hier sah es ganz anders aus als in der Villa gestern: ein kleines nettes Wohnzimmer mit Laufstall. Ein etwa sechsjähriges Mädchen und ein vierjähriger Junge saßen friedlich auf dem Boden und spielten mit pädagogisch wertvollem Holzspielzeug. Auf dem Couchtisch stand ein Teller mit Reiswaffeln und Obststück chen. Mein Herz machte einen Purzelbaum: Meine Enkelkinder! Sie sahen … zufrieden aus. Zufrieden, behütet, beschützt. Mein erster Eindruck war sofort: Silke ist eine gute Mutter.
Und das waren also meine Enkelkinder! Laura, Max und …?
»Das hier ist Ben«, sagte Silke freundlich. Sie reichte ihn mir mit einer Selbstverständlichkeit, die mich die gestrige Ablehnung komplett vergessen ließ: »Ihr jüngstes Enkelkind, Frau Bergmann! Der Kleine ist gerade eine Woche alt.«
Überwältigt nahm ich das winzige Baby in die Arme. Es roch so unbeschreiblich wunderbar! Wie damals Oliver! Es schaute ins Leere, so als hätte es noch keinen Plan.
Auf Französisch forderte Silke ihre beiden anderen Kinder auf, uns zu begrüßen. Und tatsächlich sprangen die beiden auf und reichten uns dreien artig die Hand. »Voilà, c’est votre grand-maman!«, erklärte meine Schwiegertochter und zeigte auf mich.
Ich war völlig überwältigt. Erstens, weil diese entzückenden Kinder alles verstanden. Zweitens, weil sie es befolgten. Und drittens, weil es ihnen anscheinend nicht das Geringste ausmachte, dass ich, eine völlig Fremde, ihre Oma war! (Die andere hatte sich ja nun mal im Pool ertränkt.)
Sie schauten mich mit großen Augen an und murmelten eine artige Begrüßung auf Französisch. Oje. Darauf war ich jetzt gar nicht gefasst!
Ich kramte die paar Brocken hervor, die ich noch konnte, bonjour und so weiter, und sagte schließlich verlegen: » Asseyez-vous!«, woraufhin die beiden sich artig wieder setzten.
»Das ist immer der erste Ausruf unserer Französisch-Lehrerin gewesen: ›Setzt euch!‹«
Silke lachte. »Sie müssen nicht französisch sprechen. Die Kinder können auch
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