Verwechseljahre: Roman (German Edition)
gefühlsmäßig völlig durcheinander …«
Es hatte doch keinen Zweck, meine arme alte Mutter zu beunruhigen, die offensichtlich nichts von dem Vandalismus mitbekommen hatte. Schnell brachte ich ihr Tee und half ihr auf die Toilette, wobei ich mich noch mal verstohlen umsah, ob in der Wohnung wirklich alles in Ordnung war.
»Warum weinst du dann, Kind?«, fragte Mutter. »Das sind bestimmt die Wechseljahre.«
Als es heftig an die Wohnungstür klopfte, spähte ich ängstlich durch den Spion. Mein Herz raste vor Angst.
Draußen stand Rainer. Wer sonst. Ich atmete auf, öffnete die Tür und fiel ihm um den Hals. »Rainer! O Gott, Rainer«, flüsterte ich. »Ich bin ja so froh, dass du da bist!«
»Ja, aber Schnuckelmaus …« Er kicherte erfreut.
»Ich bin nur so erschrocken«, stammelte ich. »Warum benutzt du denn nicht den Schlüssel?«
»Das ist das erste Mal, dass du mich dazu aufforderst«, jubelte Rainer und schob sich mitsamt seiner Supermarkttüte in die Wohnung. »Was ist denn das für eine Schweinerei da draußen?«
»Ich habe keine Ahnung …«
»Sicherlich nur ein Dummejungenstreich«, sinnierte Rainer, während er die Einkäufe genauso selbstverständlich auspackte wie ich damals, als alles begonnen hatte. »Hier. Vanillejoghurt. Den mag Paula doch so gern.«
»Das glaube ich nicht!«, flüsterte ich, damit Mutter nichts mitbekam, die inzwischen mit ihrem Hörgerät vor dem Fernseher saß.
»Du meinst, sie mag ihn nicht?«
»Nein, ich glaube nicht, dass das ein Dummejungenstreich war! Mein Auto ist auch völlig demoliert!«
»Oh. Das habe ich gar nicht gesehen. Ich bin durch die Garage reingekommen.«
Er riss mich an sich und schmatzte mir ein Dutzend feuchte Küsse ins Gesicht. Sein Bart kratzte. Ach, Rainer! Ich ließ ihn gewähren. Mir war plötzlich nicht mehr danach, die Kratzbürste rauszukehren. Ich hatte einfach keine Kraft mehr dazu. Außerdem: Immer wenn es mir dreckig ging, war er zur Stelle.
Nachdem er mich abgeküsst und halb totgedrückt hatte, brachte er meiner Mutter den Joghurt, kniete sich neben sie und fütterte sie, als wäre er ihr Sohn und nicht ich ihre Tochter.
Und warum, Carin?, fragte ich mich streng. Weil du selbst nie Zeit hast! Du kannst ihm keine Vorwürfe machen! Wie würde Mutter sagen? »Jeder kehre vor seiner eigenen Tür!«
Kurz darauf kehrte der eifrige Rainer – im wahrsten Sinne des Wortes – vor meiner eigenen Tür. Nämlich die Bescherung weg.
Nachdem er Schaufel und Besen zurückgestellt hatte, zauberte er ein duftendes Brathähnchen aus einer fettigen Tüte und riss ihm genüsslich die Schenkel aus.
»Hier. Beiß mal runter! Dann geht’s dir gleich besser.«
Ich wollte nicht am Hühnerbein nagen, ich wollte wissen, wer mir den Müll vor die Tür gekippt hatte. Und warum.
Verstohlen musterte ich Rainer. Er war das doch nicht etwa gewesen? Um mir dann anschließend hilfreich zur Seite springen zu können? Half er meiner nicht vorhandenen Bereitschaft, mit ihm die Ehe einzugehen, etwa auf diese Weise nach?
In diesem Moment rief Sonja an. Zuerst dachte ich, sie wollte mir einen neuen Rainer-Brief vorlesen, und hatte schon ganz heiße Ohren, weil der Dichter ja hähnchennagend neben mir saß, aber sie berichtete, dass Vivian nicht zu Hause sei. Sie habe nämlich gerade aus Rom angerufen.
»Aus Rom!«, rief ich fassungslos.
»Ja, und stell dir vor, was passiert ist!«
»Was, um Gottes willen, ist denn NOCH passiert?«
»Sie haben Romans Erzeuger gefunden!«
»Alessandro Bigotti?« Mir fiel das Herz in die Hose. »Tatsächlich?!«, stotterte ich und spürte eine Hitzewelle aufsteigen, die von roten Flecken im Gesicht begleitet wurde. Rainer schien das Ganze für eine Reaktion auf sein Popotätscheln zu halten und freute sich.
»Er wollte Roman nicht sehen und hat sich verleugnen lassen. Aber Vivian hat ihn einfach besucht!«
»Vivian … hat Alessandro Bigotti … besucht?«
»Ja! Und er war ganz begeistert von ihr!«
»Klar. Welcher Mann ist das nicht.«
»Er hat Vivian eine Audienz gegeben und ihr die Schätze des Vatikans gezeigt.«
Ich sank auf einen Küchenstuhl, was Rainer endlich dazu zwang, seine Hand wegzuziehen.
Vivian. Die war ja mit allen Wassern gewaschen!
Ein paar Tage später, ich war gerade aus meiner Bibliothek nach Hause gekommen, klingelte es an der Wohnungstür. Es war zehn nach sechs. Mutter war mit Rainer in München zum Verbandwechseln, wofür ich Rainer schon wieder schrecklich dankbar sein musste. Waren sie
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