Verwegene Herzen (German Edition)
dann auf?“
Alle Köpfe drehten sich zum anderen Ende der Lichtung und suchten nach der Frau, die es wagte, sich über die Geschehnisse und vor allem über Hugo lustig zu machen. Dort stand Meg, in der einen Hand einen Wanderstab, an der anderen einen jungen Mann mit schwarzem Haar. Zu dessen Füßen saß ein großer Hund, der nur von einer Schnur aus geflochtenem Leder gehalten wurde, die bei einem kräftigen Ruck des Tieres wohl kaum halten würde.
Das spöttische Grinsen, mit dem Will Dryden bedacht hatte, wurde breiter. Noch nie war ihm eine Störung so willkommen gewesen. Aber seine erste Reaktion wurde rasch abgelöst von unterschiedlichsten Gefühlen. Sie hatte ihn geheilt, verführt, vergiftet. Zwar war er auch vorher noch nicht dafür bereit gewesen, sich aufhängen zu lassen, doch jetzt ersehnte er die Freiheit nur noch mehr – und wenn es nur deshalb war, Meg entgegenzutreten und von ihr eine Erklärung zu verlangen.
Sie ließ den Arm des jungen Mannes los und trat auf die Lichtung. Die Menge wich mit jedem Schritt, den Meg tat, auch immer einen Schritt zurück, während Will versuchte, die Lederschnur um seine Handgelenke hinter dem Rücken zu lösen. Er konzentrierte sich auf Hugos Miene, um die Gelegenheit zu nutzen, solange er abgelenkt war.
Ein Windstoß fegte durch die Baumwipfel und ließ goldene Blätter auf die Versammlung niederregnen. Meg hielt den Kopf schräg, lauschte mit einem Ohr auf den Boden und hielt das andere dem dünner werdenden Blätterdach am Himmel entgegen. Sie lauschte vermutlich dem Wind.
Aus dieser seltsamen Haltung heraus sprach sie die Menge an. „Ich suche nach Hugo.“
Gemurmel erhob sich unter den Leuten. Von hier, von dort, von überallher hallte Geflüster über die Lichtung.
Die verrückte Meg. Die verrückte Meg.
Will erschauerte, während sein Herzschlag aus dem Takt geriet, auszusetzen schien und dann schneller schlug. Er zuckte zusammen, als er Drydens Hände spürte, während sie Rücken an Rücken standen und gegenseitig an ihren Fesseln zerrten. Über die Schulter hinweg sah er den anderen mit hoch gezogenen Brauen an.
„Ich habe nicht vor, hier zu sterben“, flüsterte Dryden.
Unter dem bedeckten Himmel und den schwankenden Bäumen erschien das Gesicht des anderen eigenartig rot, entweder von mangelnder Luft oder vor Zorn. Ohne seinen Helm wirkte er ungewöhnlich jung. Nicht einmal der dunkle, kurz geschnittene Bart verlieh seinen glatten Zügen den Anschein einer angesehenen Position. Auf seiner Stirn sammelte sich Schweiß wie Tau auf dem Gras. Ohne Waffen, in einer Lage, die er nicht kontrollieren konnte, erschien Dryden – ängstlich.
„Ich warte, Hugo.“ Meg hob die Hände, wie eine Hexe, die einen Zauber sprach, und ließ den leeren Blick über die Menge gleiten. Selbst jene, die bisher noch stehen geblieben waren, wichen jetzt zurück. Zwei Frauen bekreuzigten sich.
Als Hugo vortrat, teilte sich die erwartungsvolle Menge. Sein Schritt kündete von Autorität, während er eine verächtliche Miene aufgesetzt hatte. Auch wenn es Will nicht gefiel, etwas mit dem Mann gemeinsam zu haben, der sein Henker sein würde, so teilte er doch dessen Feindseligkeit Meg gegenüber.
„Es tut gut, dich zu – nun, zu sehen, Meg.“
Sie hob den Kopf, als würde sie ihm ins Gesicht blicken. „Lasst sie frei.“
„Ihr hattet schon immer einen seltsamen Sinn für Humor.“
„Was Euch betrifft, bin ich völlig humorlos. Lasst sie gehen.“
Will bewegte seine befreiten Hände, bis er wieder Gefühl hatte in seinen abgestorbenen Fingerspitzen. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, im Gleichklang mit seiner wachsenden Ungeduld. Trotzdem hielt er sich kerzengerade auf dem Baumstamm, unschlüssig darüber, was er tun sollte. Nein. Umringt von Männern und unbewaffnet blieb ihm keine Wahl. Was immer Meg da ins Rollen brachte, ihm blieb nichts anderes übrig, als sie gewähren zu lassen.
Sie ging hinüber zu Hugo und schlug ihm mit ihrem Stock gegen das Schienbein. Er stieß den Wanderstab mit einem Fußtritt beiseite, aber sie verlagerte ihr Gewicht und zog ihn wieder an sich. Dabei verlor sie nicht ein Mal die Haltung. Sie bewegten sich wie bei einem Tanz, als hätten sie diese Begegnung geprobt. Woher ihre Verbindung auch rühren mochte, sie kannten einander schon lange – so viel war sicher. Alle auf der Lichtung hielten den Atem an.
„Ihr verteidigt Will Scarlet?“
Das kurze Zögern, das ihrer Antwort vorausging, verriet einen Anflug
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