Verwesung
von ihm war noch Angst vor ihm hatte. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass seine Kraft aus ihrer Sicht beruhigend war. Er begann sie nach Einsetzen der Dunkelheit zu besuchen, wenn das Risiko geringer war, dass er von den Nachbarn gesehen wurde.
Es dauerte nicht lange, und sie bat ihn, über Nacht zu bleiben.
Seit sie sich kennengelernt hatten, war er ruhiger gewesen und hatte geglaubt, die Anfälle gehörten der Vergangenheit an. Trotzdem hatte er sich immer bemüht, nicht einzuschlafen.
Dann war es doch passiert.
Er behauptete, er hätte keine Erinnerung an das, was geschehen war, und wüsste nur noch, dass er plötzlich vor dem Bett stand. An der Tür hatte es gehämmert – die Polizei. Es herrschte ein totales Durcheinander. Seine Hände waren mit Blut bedeckt, doch es war nicht seins.
Er schaute hinab und sah Angela Carson.
In dem Moment verlor Monk den letzten Rest seiner Beherrschung. Als die Polizisten ins Zimmer stürmten, griff er sie völlig außer sich an. Dann lief er davon und versuchte vergeblich, den Bildern des über und über blutverschmierten Zimmers zu entfliehen, bis ihn die Kraft verließ.
Wie ferngesteuert war er hinaus ins Moor gelaufen.
Und unter der Erde verschwunden.
Dass man nach ihm suchen würde, war ihm im Grunde gar nicht in den Sinn gekommen. Er wollte nicht vor der Polizei fliehen, sondern vor sich selbst. Kälte und Hungertrieben ihn nach ein paar Tagen wieder hoch. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, und als er auftauchte, war es Nacht. Er stahl Kleidung und Essen und was er sonst noch benötigte und verschwand vor Sonnenaufgang wieder im Untergrund.
Während der nächsten drei Monate verbrachte er mehr Zeit unterhalb der Ginsterbüsche und Heideflächen des Dartmoors als unter freiem Himmel. Er kam nur an die frische Luft und ans Tageslicht, um in ein anderes Tunnelsystem umzuziehen oder neue Vorräte zu stehlen und die Fallen zu überprüfen, die er für Hasen ausgelegt hatte. Oben wurde er daran erinnert, wer er war und was er getan hatte. Unten im dunklen Felsgestein konnte er sich verkriechen.
Und vergessen.
Da er keine Angst vor dem Tod hatte, war er in der Lage, Orte zu finden und sich in Schächte zu zwängen, in die sich sonst niemand wagen würde. Zweimal stürzte die Decke ein, und er musste sich frei schaufeln, ein anderes Mal wäre er beinahe ertrunken, weil die Mine nach schweren Regenfällen überflutet wurde. Einmal hockte er zusammengekauert in einer dunklen Ecke, während nur wenige Meter weiter eine Gruppe Höhlenforscher vorbeiging. Er ließ sie ziehen und suchte sich danach einen weniger öffentlichen Zufluchtsort.
Die Anfälle kamen regelmäßig, doch dort unten war er sich ihrer nur vage bewusst. Manchmal erwachte er in einer anderen Höhle als der, in der er eingeschlafen war, ohne eine Erinnerung daran, wie er hergelangt war. Seitdem gewöhnte er sich an, mit einer Taschenlampe in der Tasche zu schlafen.
Dann, eines Tages, fand er sich im hellen Sonnenlicht aufeiner Landstraße wieder. Er war verwirrt, seine Kleidung völlig verdreckt, und er hatte keine Ahnung, wo er war und was er dort tat. In diesem Zustand entdeckte ihn die Polizei.
Von Tina Williams oder Zoe und Lindsey Bennett hörte er zum ersten Mal, als er wegen der Morde an ihnen angeklagt wurde.
«Weshalb haben Sie sich dann schuldig bekannt?», fragte ich.
Monk rieb sich abwesend einen Finger und starrte mit seinen Knopfaugen ins Nichts. Ich hatte sie immer für leer gehalten, doch nun fragte ich mich, wie mir die Traurigkeit in ihnen entgangen sein konnte.
«Jeder hat gesagt, ich hätte es getan. Man hat ihr Zeug unter meinem Wohnwagen gefunden.»
«Aber wenn Sie sich nicht erinnern konnten …»
«Ich habe es doch versucht, verdammte Scheiße!»
Er starrte mich finster an, doch selbst das schien ihn anzustrengen. Wieder erschütterte ihn ein Hustenanfall, heftiger als die vorherigen, er krümmte sich zusammen, und als es endlich vorbei war, saß er keuchend und japsend da.
Ohne nachzudenken, griff ich nach seinem Handgelenk. «Kommen Sie, ich überprüfe Ihren Puls …»
«Wenn Sie mich anfassen, breche ich Ihnen den Arm.»
Ich ließ meine Hand sinken. Monk lehnte sich an den Felsen und musterte mich misstrauisch. «Wenn Sie Arzt sind, wieso buddeln Sie dann Leichen aus? Glauben Sie, Sie können sie wieder lebendig machen?»
«Nein, aber ich kann dabei helfen, den Mörder zu finden.»
Am liebsten hätte ich die Worte sofort zurückgenommen,aber es war
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