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Verwesung

Verwesung

Titel: Verwesung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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seine Frontalhirnlappen beschädigt wurden. Das kannein gewalttätiges, unberechenbares Verhalten und Gedächtnisprobleme hervorrufen. In seltenen Fällen kommt es zu sogenannten gelastischen Anfällen, bei denen die Betroffenen lachen oder weinen und nach Dingen ausschlagen, die nicht da sind. Es ist eine Form von Epilepsie, die meistens im Schlaf auftritt und deshalb häufig nicht diagnostiziert wird. Für gewöhnlich führt man sie auf Albträume zurück. Oder man spricht von einem ‹Koller›, wie die Gefängniswärter bei Monk.»
    Terry zuckte mit den Achseln. «Na toll, dann hat er also dieses Frontalhirn-Dingsda. Aber das entschuldigt nicht, was er getan hat.»
    «Ganz und gar nicht. Aber mittlerweile sieht es so aus, als hätte er Angela Carson nicht vergewaltigt und ermordet. Sie hatten eine Beziehung, und er hat sie in einem Anfall getötet, nachdem sie Sex hatten. Sollte sie versucht haben, ihn zurückzuhalten, wird wahrscheinlich alles nur noch schlimmer geworden sein.»
    Terry lachte auf. «Ach, ich bitte dich! Selbst du kannst doch nicht erwarten, dass das jemand glaubt!»
    Dass Terry skeptisch war, überraschte mich nicht, war ich mir doch selbst noch nicht sicher, was von Monks Erzählungen glaubwürdig war. Er war trotz allem ein gewalttätiger, gefährlicher Mensch, und die Erinnerung an den Autounfall und den albtraumhaften Trip durch die Höhle würde mich lange verfolgen.
    Aber der Fall war nicht so einfach, wie jeder angenommen hatte. Genauso Monks Verhalten. Simms konnte ruhig der Meinung sein, dass der geflohene Häftling uns aus Eigeninteresse hatte gehen lassen, aber ich hatte erlebt, wie er sich unter Qualen in die Felsspalte gezwängt hatte, um mir mitSophie zu helfen, anstatt uns beide dort unten sterben zu lassen. So handelt kein gewissenloser Mörder.
    «Ich glaube, wir alle haben in Monk nur das gesehen, was wir sehen wollten», sagte ich. «Jeder hielt ihn für ein Monster, weil er ein taubes Mädchen vergewaltigt und totgeschlagen hat. Aber jetzt sieht alles ziemlich anders aus. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob er wirklich Tina Williams und die Bennett-Zwillinge ermordet hat.»
    «Er hat
gestanden
, um Gottes willen!»
    «Er hat sich selbst bestraft.» Ich erinnerte mich an die Leblosigkeit – und den Schmerz – in Monks Augen. Er hat sich selbst tiefer verabscheut, als die Gesellschaft ihn jemals verabscheuen könnte. «Weil er Angela Carson in einem Anfall getötet hat, kann er sich nicht sicher sein, ob er nicht auch die anderen getötet hat. Aber ich glaube, bei dem Prozess war ihm schon alles egal.»
    Terry schnaubte. «Wenn du das glaubst, dann wäre Monk nicht der Einzige, der was am Kopf hat.»
    «Es spielt keine Rolle, was ich glaube», wehrte ich erschöpft ab. «Jedenfalls ist es ein physiologisches Problem und keine Geisteskrankheit. Deswegen haben die Psychiater, die ihn untersucht haben, auch nichts festgestellt. Das könnte sich allerdings ändern, jetzt, wo sie wissen, worauf sie achten müssen.»
    «Das ist doch nicht dein Ernst!» Terry kaute an seiner Unterlippe. «Und wenn er behauptet, er hätte die anderen Mädchen nicht umgebracht, wer war es dann?»
    Ich zuckte mit den Achseln und unterdrückte einen Müdigkeitsanfall. «Hast du schon mal von einem DI Jones gehört?»
    Terry bremste, weil der Wagen vor uns langsamer wurde.«Was macht der Wichser da?», brummte er. «Jones? Ich glaube nicht, wieso?»
    Das war ein weiterer Punkt, über den ich im Krankenhaus nachgedacht hatte. Wenn Monk – und Walker – die Wahrheit sagten, war der Polizist, der die Sachen der toten Mädchen unter den Wohnwagen gelegt hatte, eindeutig ein Verdächtiger. Nur dass es diesen Jones, laut Naysmith, nicht gab.
    Doch ich hatte bereits genug gesagt. «Spielt keine Rolle. Monk hat den Namen nur erwähnt.»
    Terry schaute mich an. «Du siehst fertig aus. Wir haben noch eine halbe Stunde Fahrt vor uns. Ruh dich doch ein bisschen aus.»
    Ich hatte bereits meinen Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen. Wirre Bilder schossen mir durch den Kopf, von der Höhle, vom Unfall, von Monks Delle, die in der Dunkelheit wie ein Loch ausgesehen hatte. Ich sah die verunstaltete, mit klebriger Erde überzogene Leiche von Tina Williams vor mir und hörte Wainwrights dröhnendes Lachen. Ich hörte eine Hacke in den feuchten Torf stechen, und dann holperte der Wagen durch eine Schlagloch, und ich wachte auf.
    «Wieder unter den Lebenden?», meinte Terry.
    Ich rieb mir die Augen.

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