Verwesung
dabei bewenden. Es stand mir nicht zu, sie zu bevormunden, und da die Ärzte und ihre Schwester es nicht geschafft hatten, sie umzustimmen, bezweifelte ich, dass ich mehr Erfolg haben würde.
«Entschuldigen Sie, ich wollte nicht laut werden», sagte sie verlegen. «Und danke, dass Sie mich vor Maria nicht verraten haben. Ich hätte Sie nicht in Verlegenheit bringen dürfen, aber sie wollte, dass ich bei ihr wohne. Und glauben Sie mir, das wäre kein Spaß gewesen.»
Ich konnte es mir vorstellen. «Und wie kommen Sie jetzt nach Hause?»
«Ich nehme den Zug», sagte sie leichtfertig. «Keine Angst, ich habe nur gesagt, dass Sie bei mir bleiben, damit Maria zufrieden ist. Und ich erwarte auch nicht, dass Sie mich fahren.»
«Ich weiß, aber ich werde es trotzdem tun.»
«O nein, das kann ich nicht von Ihnen verlangen!»
«Was soll ich machen?» Ich lächelte. «Ich habe Ihrer großen Schwester mein Wort gegeben.»
Sophie schlief fast während der ganzen Fahrt. Trotz ihrer Entschlossenheit war sie noch längst nicht vollständig genesen, und die Augen fielen ihr schon zu, bevor wir das Krankenhausgelände verlassen hatten. Aber ihre Atmung gingkräftig und regelmäßig, während sie, an die Kopfstütze gelehnt, neben mir saß. Ich fuhr vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken. Es gab eine Reihe von Fragen, die ich stellen wollte, aber die konnten warten.
Es war ein merkwürdig friedliches Gefühl, hinaus nach Dartmoor zu fahren, mit einer schlafenden Frau neben mir. Ich wusste, dass es nicht von Dauer und nur ein kurzes Ausblenden der Wirklichkeit war. Irgendetwas beunruhigte Sophie, und ihr Angreifer lief noch immer frei herum.
Doch das waren Probleme der Zukunft. In der Abgeschlossenheit des Wagens, mit der vorbeirauschenden Landschaft und Sophies leisem Atem neben mir fühlte ich mich seltsam zufrieden.
Am späten Nachmittag hielt ich vor Sophies Cottage an. Als ich den Motor ausstellte, wachte sie auf. «Wo sind wir?», fragte sie, setzte sich auf und rieb sich die Augen.
«Zu Hause.»
«Mein Gott, habe ich etwa den ganzen Weg geschlafen?»
«Das war das Beste für Sie. Wie fühlen Sie sich?»
Sie dachte einen Moment nach und blinzelte noch verschlafen. «Besser.»
Sie sah auch besser aus. Die Blässe war verschwunden, es störte nur der entsetzliche blaue Fleck in ihrem Gesicht. Wir stiegen aus dem Wagen und atmeten die kalte Herbstluft ein, die nach den Abgasen der Stadt besonders frisch und angenehm war. Die Sonne stand niedrig und warf lange Schatten. Der kleine Obstgarten, der in der Nacht so unheimlich gewirkt hatte, sah bei Tageslicht trotz der kahlen, knorrigen Apfelbäume freundlich aus.
Dahinter stand der umgedrehte Kegel des Brennofens,der fast so hoch wie das Haus war. Jetzt konnte man deutlicher erkennen, wie verfallen er war. Die bröckelnden Ziegel schienen nur noch von dem rostigen Gerüst gehalten zu werden. Daneben lag, von Gras und Unkraut überwuchert, ein Stapel Pfähle, als wären die Instandsetzungsarbeiten schon vor Jahren zum Erliegen gekommen.
«Das ist mein ganzer Stolz», sagte Sophie, als ich ihr die Gartenpforte aufmachte. «Ein viktorianischer Flaschenofen. Davon gibt es nicht mehr viele.»
«Funktioniert er noch?»
«Mehr oder weniger. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.»
«Das muss nicht sein», sagte ich, denn ich wollte nicht, dass sie sich verausgabte.
Doch sie ging bereits darauf zu. Die wacklige Holztür quietschte, als Sophie sie aufschob. «Schließen Sie nicht ab?», fragte ich.
Sie lächelte. «Wir sind hier nicht in der Stadt. Außerdem glaube ich nicht, dass Diebe daran Interesse haben. Es gibt keinen Schwarzmarkt für handgemachte Töpferwaren. Leider.»
Ich folgte ihr nach drinnen. Es roch feucht und muffig, nach altem Putz. Durch die kleinen Fenster in den runden Wänden fiel Licht. In der Mitte des Gebäudes befand sich der originale Ofen, ein riesiger Ziegelschornstein ragte durch das Kuppeldach. Er war mit einem Baugerüst gesichert und teilweise durch verrostete Stangen und Holzbalken abgestützt.
«Hält das?», fragte ich und betrachtete das schiefe Mauerwerk.
«Scheint so. Er war schon in dem Zustand, als ich das Haus gekauft habe. Der Ofen steht unter Denkmalschutz,selbst wenn ich wollte, dürfte ich ihn also nicht abreißen. Aber das will ich auch gar nicht. Der Plan ist, den alten Ofen irgendwann wieder flottzumachen, aber das muss warten, bis ich das Geld dafür habe. Es dauert wohl noch eine Weile.»
Neben dem alten Ofen standen ein
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